Es gibt Kameras, die nicht zuletzt wegen ihrer bemerkenswerten Historie herausragen. Dazu gehört die Adox „Adrette“, die legitimerweise „Wirgin Edinex“ hätte heißen müssen.
Hier zunächst die Daten:
• Baujahr: 1939-1948 (vgl. Kadlubek), dies ist vermutlich ein frühes (Vorkriegs-)Modell?; eine Seriennummer kann ich leider nicht entdecken • Hersteller: Adox, Dr. Schleussner, Wiesbaden • Format: KB (24 x 36 mm) • Objektiv: Schneider Kreuznach Xenon 1:2 (!), f = 5 cm • Blenden: 2 bis 16 • Verschluss: Compur (F. Deckel) • Belichtungszeiten: T, B, 1, 1/2, 1/5, 1/10, 1/25, 1/50, 1/100, 1/300 Sek. • Auslöser: am Objektiv (+ Drahtauslöser-Anschluss) • Fokussierung: manuell (Schneckengang-Einstellung!), 075 m bis ∞ • Entfernungsmessung: --- (aber Stift zum Aufsetzen eines Entfernungsmessers auf der Oberseite) • Blitz: keine Synchronbuchse • Belichtungsmesser: --- • Filmzählwerk: Skala auf der Oberseite • Sucher: Teleskopsucher (auf Deckkappe, nicht ins Gehäuse integriert) • Filmtransport: manuell durch Rändelschraube rechts, freizugeben durch vorheriges Drehen eines daneben liegenden Rädchens (= Doppelbelichtungssperre) • Zeitauslöser: --- • Filmtyp-Merkscheibe: --- • Rückspulmechanismus: Rändelschraube auf der Oberseite (Freigabe durch Rädchen „R“) • Besonderheiten: Schraubobjektiv, Zubehörschaft (z.B. für Entfernungsmesser), Boden wie bei der „Leica“ abnehmbar für Filmeinlage (keine Rückenklappe!), 1/4 Zoll Stativgewinde • Zubehör: Bereitschaftstasche
Die Kamera ist insofern ein besonderer Zeitzeuge des 20. Jahrhunderts und seiner Verwerfungen, als sie eigentlich ein Produkt der Brüder Wirgin in Wiesbaden war, und zwar unter dem Namen „Edinex“. Doch die Wirgins wurden Opfer des staatsverordneten Antisemitismus im "Dritten Reich" und mussten 1938 gezwungenermaßen in die USA emigrieren (bzw. wurden ausgewiesen) und ihre Firma an Adox übertragen (Stichwort ‚Arisierung‘). Heinrich (Henry) Wirgin kam erst nach dem Krieg nach Deutschland zurück und begründete 1948 die Kameraproduktion neu, später u.a. mit der erfolgreichen Wirgin „Edixa“-SLR-Serie (bis 1971). Insofern verweist die „Adrette“ bereits in ihrem Namen auf ein dunkles Kapitel deutscher Industriegeschichte. (Mehr zur Firma Wirgin und der „Edinex“ im aktuellen Heft der „PhotoDeal“, I/2021, S. 54ff., Horst Neuhaus: „Die Väter und Entwickler der Edixa“)
Wie bei anderen klassischen Tubuskameras zieht man das Objektiv vor und arretiert dann den Tubus durch eine Rechtsdrehung. Zum Herausziehen dienen zwei Griffe links und rechts des Objektivs. Das Entsperren des Transportknopfs durch ein kleines Rädchen ist gewöhnungsbedürftig.
Das Einlegen des Films habe ich als ziemlich kniffliges Unterfangen empfunden. Keine Klappe an der Rückseite hilft einem dabei, alles muss durch die Bodenöffnung eingefädelt werden. Leider steckt in meiner „Adrette“ ein abgerissenes Stück Film im Lichtkanal, das ich nicht herausbekomme.
Die Kamera ist unglaublich solide und qualitätsvoll gefertigt, dabei sehr kompakt, und sie hat mit dem 1:2-„Xenon“ eine Spitzenoptik. Eine echte „Leica“-Konkurrenz eben. Leider sind mir beide Filme, die ich mit der Adrette bislang getestet habe, misslungen (unscharf, Lichtflecken, Schleier). Vermutlich ist die Lichtdichtung des Tubus nach über 80 Jahren nicht mehr intakt und das Objektiv dejustiert. Und man darf beim Fotografieren natürlich nicht vergessen, vorab den Tubus auszuziehen (ist mir auch mal passiert…).
Die Kamera ist nicht nur elegant, sondern – wenn funktionierend – auch heute noch gut benutzbar. Sie ist gewissermaßen um den Film herumgebaut und deshalb so zierlich und gefällig in der Form.
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vielen Dank für Deine ausführliche Vorstellung der Adrette!
Ich frage mich, wie man bei einer solchen Kamera eine Filmandruckplatte realisiert.
Außerdem meine ich zu erkennen, dass die Filmbühne an der Vorderwand des Gehäuses angeschraubt sei. Gleichzeitig kann ich keine Teilung des Gehäuses erkennen. Wie produziert man sowas? Bisher glaubte ich immer, dass fest eingebaute Objektive an dem eigenen Gehäuse justiert werden.
Wozu dient eigentlich die ?Schraubabdeckung? an der Rückwand? Der Sinn der beiden gesenkten Löcher auf der Hinterseite der Bodenplatte erschließt sich mir auch nicht. Sind die Gewinde im Gehäuse dahinter etwa durchgebohrt?
Mit freundlichen Grüßen Roland
PS: Wenn ich es selbst so gehandhabt hätte, würde ich Dich um eine Aufnahme von oben bzw unten mit eingefahrenem Objektiv und einer Münze/Streichholzschachtel dazu bitten, damit man erkennen kann, wie kompakt die Kamera ist. Die kann ja fast mit der Rollei 35 konkurrieren.
die Adrette hatte sozusagen das gleiche Problem wie die Leica. Man musste den Film geschickt durch den Rückwandschlitz von unten einfädeln. Die Adrette- und Edinex-Varianten hatten dafür unterschiedliche Konzepte. So gab es eine Variante mit Rückwandklappteileinsatz und auch eben diese Münz-Drehschraubung. Die war - aus meiner Erinnerung - dafür da, um die Filmanruckplatte so zu stellen, dass der Film nach der Einfädelung plan geführt wurde.
Jedenfalls eine bemerkenswerte Kamera und auch selten. Wird eine Vorkriegsausführung sein.
Grüße von Haus zu Haus Rainer (Forumbetreiber)
Analog: Aus Negativ wird Positiv. Digital: Pixel sind nicht alles, aber ohne Pixel ist alles nichts.
vielen Dank für Deine Anmerkungen. Zur Schraube auf der Rückseite hat Rainer ja schon alles gesagt. Die beiden "Löcher" an der Unterseite der Kamera sind Nuten, die innen einen kleinen Kopf tragen (4x auf beiden Seiten), in die die Haltespangen des Unterbodens eingreifen.
Zum Größenvergleich hier noch mal ein paar Fotos. Über die "Zartheit" dieser Kamera staune ich immer wieder, dabei ist sie ziemlich schwer (eben massiv).
ich sehe gerade, dass das Objektiv wohl bis 0,75 Meter reicht. Das war damals schon eine gewisse Besonderheit, weil die meisten Kameras bei 1 Meter Schluß machten. Ist meine Vermutung mit den 75 cm richtig oder ging das noch näher?
Übrigens überlege ich gerade, welche Funktion der runde "Knopf" oben neben dem Zählwerk-Ringbereich in der Mitte hat ... Tubussperre?
Grüße von Haus zu Haus Rainer (Forumbetreiber)
Analog: Aus Negativ wird Positiv. Digital: Pixel sind nicht alles, aber ohne Pixel ist alles nichts.
ja, 75cm waren die maximale Nähe. Der "Knopf" ist der Zubehörschaft für Entfernungsmesser usw. Ich habe allerdings noch kein Gerät gesehen, das man hier einstecken kann. Es muss ja irgendwie ein "Stängelchen" haben, das hier befestigt werden kann. Das wäre jetzt eine interessante Spurensuche. Im Internet gibt es Fotos von Wirgin-Kameras, bei denen hier zum Beispiel japanische Entfernungsmesser aufgesteckt sind.
iIa. Re: Adox "Adrette", Aufsteckentfernungsmesser "Fokos" von Leitz
Hallo miteinander, in den Stutzen gehört ein spezieller Leitz-Entfernungsmesser rein. Er liegt dann horizontal über der Kamera. Wenn ich dazu komme, mache ich Morgen ein paar Photos davon, also wenn es eben hell ist... Gruss Freier-Sascha
Guten Morgen, hier nun die Bilder: Wirgin Edinex / 1936 / Trioplan 4,5, 5cm / Leitz Entfernungsmesser Fokos in Meter und grossem Rad:
Natürlich passt der E-Messer auch auf die Adox Adrette (Adrette II / 1939-1948 / Schneider Xenon 2,0 50mm in Comp. Rapid):
Um im Zweifel besser an die Bedienelemente auf der Kameraoberseite zu gelangen (Zählwerk einstellen oder Film zurück spulen) kann man den E-Messer ein wenig nach oben ziehen und dann drehen:
danke für die Vorstellung des passenden Leitz-Entfernungsmessers für die Adrette. Es scheint so zu sein, dass Leitz einige Varianten des Entfernungsmesser in zeitlicher Folge hergestellt hat. So habe ich die Modelle Fodis, Fokar, Fokos, Fofer, Fodua, Fokoschrum gefunden. Kannst Du sagen, welches Dein Modell ist?
Ich habe den Entfernungsmesser ins Online-Museum-Verzeichnis mit aufgenommen.
Grüße von Haus zu Haus Rainer (Forumbetreiber)
Analog: Aus Negativ wird Positiv. Digital: Pixel sind nicht alles, aber ohne Pixel ist alles nichts.