hier soll eine Westentaschenkamera im Format 4x6,5 vorstellt werden, die Ernemann Bob I 'Miniatur' 4x6,5.
"Bob" war eine Reihe von Laufbodenkameras für Rollfilm (einige waren für Rollfilm und Platten eingerichtet), die in unterschiedlicher Größe und Ausstattung angeboten wurden. Die Bob I gab es auch in 6x9, die kleine Version 4x6,5 erhielt in den Katalogen den Zusatz "Miniatur".
Die Kamera ist für den Rollfilm 127 bestimmt. Sie besitzt einfachen Auszug; die Entfernungseinstellung erfolgt über einen an der Frontseite des Laufbodens positionierten Radialhebel, der greift, sobald der Schlitten auf der ∞-Markierung steht. Die Handhaben können abgeklappt werden. Als Sucher fungiert wie üblich ein Brillantsucher.
Bemerkenswert ist ein Ausstattungsmerkmal, das an einer solchen Kamera eigentlich wenig sinnvoll erscheint: Das Objektiv kann sowohl vertikal als auch horizontal verschoben werden! Bei Plattenkameras, die eine Kontrolle des Bildes über die Mattscheibe erlauben, gehört das natürlich zur Ausstattung – aber wie man an einer solchen Rollfilmkamera mit einem derart ungenauen Sucher Objektivverschiebungen nutzen soll, erscheint mir schleierhaft. Möglicherweise nur ein Prestige-Merkmal?
Ausgestattet ist das gezeigte Exemplar mit einem Ernemann Detektiv-Aplanat 6,8/80 in Automat B 1–100. Das Modell war im Zeitraum 1914–1922 im Handel; das vorliegende Exemplar kann zeitlich genauer eingegrenzt werden, da es als Warenzeichen das Ernemann-Malteserkreuz trägt, das erst seit 1920 genutzt wurde.
Wie bei vielen frühen Ernemann-Kameras ist die Beschriftung auf Verschluss und Entfernungsskala stark verblasst; die Gravuren sind offenbar sehr fragil.
interessant auch der noch verwendete Compound-Typ-Verschluß. Die Standarten-Verschiebungsoption habe ich auf den Fotos noch nicht erkannt. Ja, bei Rollfilm ist das eher ungewöhnlich, da man ja kein Betrachtungs-Feedback bekommt und im Brillantsucher keine Wirkung erkennen kann ...
Beste Grüße von Haus zu Haus Rainer (Forumbetreiber)
Analog: Aus Negativ wird Positiv. Digital: Pixel sind nicht alles, aber ohne Pixel ist alles nichts.
der hier verwendete Verschluss ist auch einer mit Luftbremse wie der Compound – man sieht den querliegenden Kolben –, es ist aber ein selbstspannender Automatverschluss mit einem geringeren Zeitenbereich, also eine Klasse unter dem Compound.
Zur Verstellung: Auf dem unteren Bild ist die Standarte nach (von vorn gesehen) rechts und nach oben verschoben. Da die Verstellwege sehr klein sind, sieht man es nicht so deutlich. Bei größeren Rollfilmkameras gibt es dieses Feature hin und wieder (z. B. an vielen Icarette-Modellen 6x6 aufwärts); bei diesen Westentaschenkameras scheint mir das eher ein Marketing-Gag zu sein. Ich habe noch eine Bob V, die verfügt auch über diese Möglichkeit. Und das ohne vernünftige Kontrolle über den Bildausschnitt...
ich war mir bezüglich des "Compound" Verschluss auch nicht sicher, habe aber zum Thema "Selbstspannender Automatverschluss" keine Information gefunden.
Mit welchem "Hebelchen" oder "Knopfes" kann man die Höhen-Verschiebung vornehmen, ich erkenne das auf den Fotos nicht.
Beste Grüße von Haus zu Haus Rainer (Forumbetreiber)
Analog: Aus Negativ wird Positiv. Digital: Pixel sind nicht alles, aber ohne Pixel ist alles nichts.
die Standarte bzw. das Objektivbrett wird nur verschoben, es gibt keinen Spindeltrieb. Die vertikale Verschiebung wird mit dem Knopf oberhalb des Kolbens freigegeben; man drückt ihn zur Seite und kann das Objektivbrett bewegen. Die Standarte wird einfach verschoben, ohne Arretierung. Ich stelle am WE noch ein neues Bild davon ein.
Zum Verschluss: Hier mal ein Auszug aus dem Ernemann-Katalog 1925 (S. 13) (allerdings schon eine neuere Version des Verschlusses):
vielleicht steckt ja hinter der unnützen Vertikal/Horizontal-Verschiebungsoption auch eine Mehrfachnutzung dieser Standarte bei mehren Bob Modellen, denn es gibt ja auch Bob-Modelle für Kombinutzung Platte/Rollfilm. Vielleicht ist das auch gar keine Bob I ?
ich besitze zwar 2 Ernemann Kataloge aber die Mini ist darin nicht aufgeführt ich bin aber der Meinung das alle BOB auch mit einer Plattenrückwand lieferbar waren und warum sollte das bei der Mini nicht auch so sein, dann machen auch die verstellmöglichkeiten Sinn. Der Eintrag bei Kamera Wiki für die BOB I ist evtl. unvollständig. in meiner Liste Nr. 225 und 91 ist jedenfalls die Beschreibug: BOB 1 mit einfachem Auszug für Rollfilms und Platten.
Sehr Interessant finde ich den Verchluss den es wohl nur so bei der Mini gegeben hat denn mir fällt keine Ernemann mit diesem liegenden Zylinder ein. In der Liste 91 sid die BOB Verschlüsse einzeln aufgeführt aber diese haben stehende Zylinder
Kennt jemand in der Runde die Erscheinungsdaten der beiden Listen ?????
Rainer:vielleicht steckt ja hinter der unnützen Vertikal/Horizontal-Verschiebungsoption auch eine Mehrfachnutzung (...)
ich habe im User-Manual einer ganz anderen Ernemann, der "Ernemann Focal Plane Camera", auch eine passend unnütze Anleitung bzw. Erklärung für diese Option gefunden (https://www.butkus.org/chinon/ernemann_focal_plane/ernemann_focal_plane.htm) :
"Lens Shifting: in some cases it is necessary to shorten the foreground in favor of the sky when limiting the picture to be taken upward. For this purpose the lens board can be moved upward or downward by releasing the screw 12". --> Manchmal muss man den Vordergrund zugunsten des Himmels verkürzen/ausblenden, um das Bild nach oben aufzunehmen. Dafür kann die Objektivplatine nach oben oder unten bewegt werden, indem man Schraube 12 löst.
Das sieht so ganz anders aus als das, was ich als eigentlichen Zweck einer solchen Verstellung gelesen habe - Vermeidung von Stürzenden Linien, Perspektive, Entzerrung und so weiter. Sowas habe ich mit dem Vergrößerer gemacht, der schwenkbar an der Säule war als auch eine schwenkbare Objektivplatine hatte. Dazu musste aber die Originalaufnahme weitwinklig genug sein, um das, was man mit draufhaben will, auch mit in's Bild zu bekommen. Das Kameraobjektiv zu verschieben, nützt das Bildformat ganz aus - wichtig für den, der keinen Vergrößerer hat, sodass er weiter weg gehen und eine Ausschnittvergrößerung machen kann, bei der er Unnützes weglässt.
Obwohl diese spezielle Kamera sowohl einen Durchsichtssucher als auch eine Einstellscheibe aufweist, hat man nicht das Gefühl, als ob dem Hersteller eine professionelle Nutzung des Features vor Augen stand?! Das klingt eher so wie "wenn du zuviel Büsche vor der Linse hast und lieber die schönen Wolken mit draufkriegen willst, dann löse die Feststellschraube und schubse die Linse ein bisschen höher, bis du glaubst, jetzt kriegst du das Gewünschte drauf". Ich denke auch, die damaligen Stative hatten nicht alle einen Neige- oder Kugelkopf. Da fängt man dann an, die drei Stativbeine passend zu verkürzen oder zu unterlegen. Der Werbe-Gag wäre dann tatsächlich "hier kannst du den Himmel besser draufkriegen".
Sammler:ich bin aber der Meinung das alle BOB auch mit einer Plattenrückwand lieferbar waren und warum sollte das bei der Mini nicht auch so sein,
Das ist tatsächlich nicht der Fall; Axel hat schon auf den entsprechende Katalogeintrag (dürfte 1914 (= Liste Nr. 305), S. 11 sein) verwiesen.
Sammler:Sehr Interessant finde ich den Verchluss den es wohl nur so bei der Mini gegeben hat denn mir fällt keine Ernemann mit diesem liegenden Zylinder ein.
Ich kenne eine ganze Reihe von Kameras mit einem solchen Verschluss. Im Buch von Peter Göllner (1995) werden die Ernemann-Verschlüsse vorgestellt (S. 230-232), die älteren (vor den moderneren Chronos/Cronos mit mechanischem Hemmwerk) haben den waagerechten Zylinder.