heute möchte ich eine Großformatkamera mit langer Modellgeschichte vorstellen, die Hüttig Juwel (II) im Format 13x18, Modelljahr 1906; im Hüttig-Katalog trägt sie die Nummer 270 (s. unten).
Es handelt sich um eine Laufbodenkamera in quadratischer Bauform (daher Mod. II) mit dreifachem Auszug. Das Gehäuse und der Laufboden bestehen aus Holz –m.E. Mahagoni –, der Balgen aus rotem Leder, was die Kamera recht attraktiv macht. Die Standarte ist, wie bis etwa 1910 üblich, als System aus senkrechten Stangen ausgeführt, auf denen der Objektivträger (mit abnehmbarem Objektivbrett) geführt wird. Der lange Balgen wird durch automatische Balgenspanner gesichert. Vertikale und horizontale Verschiebung sind in großzügigem Umfang möglich.
Eine Neigung der Standarte ist allerdings nicht vorgesehen. Auch der Laufboden kann nicht über 90° hinaus geneigt werden, wie es bei den späteren Ica-Modellen Juwel 440 bzw. Universal-Juwel 440 der Fall ist.
Sehr interessant sind die Skalen für die Entfernungseinstellung: Es sind wie bei vielen Kameras zwei – eine wohl für Benutzung der Hinterlinse –, beide sind aber auch geteilt, und maßgeblich ist, ob ein Schlitzverschluss angebracht ist oder nicht! Das habe ich bislang an keiner Kamera gesehen. Es gab im Zubehörprogramm also einen Schlitzverschluss zum Ansetzen an das Rückteil.
Der Rahmen des Rückteils ist zur Änderung des Aufnahmeformats um 90° umsetzbar, dazu wird unten rechts eine Arretierung gelöst. In den Rahmen passen Kassetten und Rückteile mit Falz. Mitgeliefert wurde eine Hüttig-Packfilmkassette, es lässt sich aber auch der Mattscheibenrahmen der frühen Ica Favorit 425 einschieben. Zusätzlich steht ein ins Gehäuse eingelassener Newtonsucher zur Verfügung.
Die Kamera besitzt einen dreifachen Auszug, der mit demselben Triebknopf ausgelöst wird. Nach Auszug des inneren Laufbodenteils muss beherzt weitergedreht werden; nach einem Knacken bewegt sich dann auch der äußere Rahmen. So ist ein beträchtlicher Auszug von mehr ala 50 cm möglich.
Das vorliegende Exemplar ist mit einem Goerz Dagor 6,8/180 in einem Hüttig Automat-Verschluss "Lloyd" (Zeitenbereich 1–1/100) ausgestattet. Interessant ist, dass hier das Blendensystem nach Stolze Anwendung findet (Blendenwerte bis 384).
Das Modell "Juwel" wurde 1908 nochmals geringfügig überarbeitet (Abbildung bei Kerkmann unter Nr. 0770) und 1909 ins Ica-Programm übernommen, dort bekam es die Modell-Nr. 440. Daraus wurde die Universal-Juwel, die es bis ins Zeiss Ikon-Programm schaffte (--> https://blende-und-zeit.sirutor-und-comp...&thread=184).
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das ist wirklich ein wunderschönes Stück - danke fürs zeigen!
Ein wenig kann ich ergänzen. Es handelt sich um das Modell II, da es die quadratische Konstruktion besitzt. Das Modell im Format 13x18 hatte die Nummer 270. Hier die entsprechenden Katalogseiten von 1906:
Den Schlitzverschluss zum hinten ansetzen gab es 1906 wohl nur für Kameras im 9x12 Format. Im Jahr 1908 war er dann auch für das Format 10x15 erhältlich. Für das Format 13x18 ist er im Katalog nicht erwähnt. Eventuell wurde da mit Formatreduzierung gearbeitet? Der Katalog 1908 erwähnt bei der Juwel Modell I und II explizit: "Mit Schlitzverschluß-Ansatz 'Helios' auch als Zweiverschluß-Camera zu verwenden."
ganz herzlichen Dank für diese wertvollen Informationen und die Katalogauszüge! So lässt sich das Modell eindeutig zuordnen; ich ergänze das noch im Titel des Threads. Kleine Änderungen gab es wohl noch bei der Arretierung des Objektivbrettes: Federnd gelagert ist bei meinem Exemplar nichts, es sind Rändelschrauben, die einfach fixiert werden. Und die horizontale Verstellung erfolgt durch einfaches Verschieben.
Sehr interessant auch, dass der Schlitzverschluss 13x18 (noch) nicht gelistet ist... Ich muss die späteren Ica-Kataloge noch einmal gründlich daraufhin durchsehen; ich hatte in Erinnerung, so etwas schon einmal gesehen zu haben (vielleicht auch bei Ernemann oder in einem Händlerkatalog); eine schnelle Durchsicht gestern brachte aber kein Ergebnis.
Bemerkenswert schließlich auch die große Auswahl an Objektivbestückungen (das wurde unter Zeiss bekanntlich anders...) – und dass die Ausstattung mit Dagor gemeinsam mit Voigtländer Collinear offenbar die teuerste Ausstattung war, wenn man mal vom Sonderfall Doppel-Protar absieht. Und das Objektiv des Herstellers aus Wetzlar rangiert preislich nur im Mittelfeld...
wegen der Federdruckfeststellung des ‚Vorderteils‘ habe ich nochmal in der Liste 23 (datiert auch 1906, ist aber vor den oben gezeigten Bildern aus der Liste 24 erschienen) geschaut und dort ist vermerkt, dass diese Einrichtung nur beim 9x12 Modell vorhanden war. Bei den folgenden Listen ist dieser Vermerk nicht mehr vorhanden. Man könnte deshalb vermuten, dass dann auch die großen Modelle damit ausgestattet wurden?? Hier noch die betreffenden Seiten aus der Liste 23:
nochmals besten Dank! – Vielleicht hat es bei der Standartenverstellung während der Bauzeit geringfügige Modifikationen gegeben. Ich stelle mir den Mechanismus so vor wie bei frühen Ernemann- und Wünsche-Kameras, wo die Arretierung mittels Hebeldruck gelöst wird und ein Loslassen des Hebels sofortige Arretierung bewirkt. Das scheint mir hier aber gar nicht erforderlich – das Objektivbrett gleitet hinreichend leicht, rutscht aber auch nicht durch.
ich bin neu hier, vielen Dank für die Aufnahme ins Forum.
Ich habe einige Laufbodenkameras aus den 20ern 30er Jahren und bringe die soweit in Ordnung, dass ich damit fotografieren kann (in kleinem Rahmen und aus Spaß...). Jetzt hatte ich ein Xenar (21cm, f 4,5) an einer "schönen alten Kamera" ergattern können. Mit Xenar im Compound komme ich klar. Der Verschluß läuft, die Linsen sind wie erwartet angelaufen, lassen sich aber abschrauben, alles machbar. Die alte Kamera hat sich als eine Hüttig Juwel Modell 1906 zu erkennen gegeben. Die gefällt mir so gut, dass ich sie gerne wieder in Stand setzten will. Ich hab schon eine ICA Favorit 13x18 mit einem Tessar (18cm, f4.5), die ich reaktiviert habe und aktiv nutze, die mir auch sehr gut gefällt.
Nun aber zu der Juwel... da war irgendwann in der Vergangenheit rohe Gewalt am Werk, das bekomme ich aber (hoffentlich) wieder hin (Metallteile ersetzen/neu machen, Holzausbrüche - mal sehen wie ich das löse...).
Meine eigentliche Frage gilt dem Laufboden. Der erste Auszug greift nicht richtig, d.h. die Stellschraube dreht leicht durch. Wenn ich leicht auf den Laufboden drücke (d.h. "zusammendrücke"), greift sie wieder. Den würde ich gerne demontieren. Hat das schon mal jemand gemacht? Wo arretiert der denn? Den Laufboden kann ich ja nur bis zu einer bestimmten Position rausfahren. Bei den Kameras mit Laufboden aus Metall ist immer eine kleine Schraube, die den Laufboden am Ende arretiert. Das hab ich jetzt hier nicht gefunden.
Hat jemand schon mal den Sitz von Holzschrauben "renoviert", damit die wieder greifen? Funktioniert da Epoxy? Ich nehme sonst bei größeren Schrauben einen Dübel oder einen kleineren Holzstift, den ich in das ausgefranste loch leime. Bei den Kleinen Schrauben hier und weil das Holz wahrscheinlich durchs Alter schon etwas spröde ist, würde ich das ungern machen.
Im Anhang noch ein paar Bilder vom aktuellen Stand. Den Balgen hab ich gestern mit Lederfett wieder weich bekommen, das muss jetzt noch ein bisschen einwirken. Der scheint sonst dicht zu sein, nur teilweise ein bisschen ausgeblichen. Viele Grüße, Christian
Zitieren:(...) Holzausbrüche - mal sehen wie ich das löse...). Hat jemand schon mal den Sitz von Holzschrauben "renoviert", damit die wieder greifen?
Epoxyd usw. ist für mich Geschichte, ich benutze Sekundenkleber (die sind alle das Gleiche, vielleicht mit unterschiedlicher Viskosität erhältlich: Acrylcyanat, bei KiK sechs Tuben a drei Gramm für zwei Euro). Und, wichtig! mit Natron (Baking Soda) stabilisiert/gehärtet, das Pulver mit einem Pinselchen in der gewünschten Menge/Dicke auf z.B. der Bruchstelle verteilt. Dann fließt nix mehr weg, und es ist hinterher schleif- und sägbar. Entgegen dem Namen erreicht Sekundenkleber nach 12-24 Stunden seine höchste Festigkeit. Ich schätze das Zeug unter anderem deswegen, weil man die Klebestelle handgehalten fixieren kann, bis sie nach ca. einer Minute greift, aber ich belaste sie noch nicht.
Disclaimer: Ich habe noch nie eine Kamera aus Holz restauriert.
Vielen Dank für den Tipp. Den Trick mit dem Backpulver kannte ich noch nicht. Das versuche ich auf jeden Fall mal (aber zuerst mit einem Teststück damit an der Kamera net noch mehr Stellen kaputt gehen...). Beim Betrachten der Kamera kam mir gestern noch der Gedanke, das mit der abnehmbaren Rückwand doch auch 18x18 Fotos möglich wären. Da müsste doch was mit dem 3d-Drucker zu machen sein (oder Holzwerken, was noch cooler wäre...). Oder man passt das neue Rückteil auf das aktuelle 13x18 (5x7) Format an. Für die Kamera die Original Kassetten zu bekommen wird sowieso ein Glückspiel. Wird aber wegen anderer Projekte noch ein wenig dauern, bis ich dazu komme.... Viele Grüße, Christian
Christian_H:Den Trick mit dem Backpulver kannte ich noch nicht.
Moin, Christian! Kein Backpulver. Backpulver ist zum Backen da und soll den Teig mit Gasbläschen locker machen. Es besteht aus ein bisschen Natron (basisch), eine bisschen Zitronensäure (sauer) und ein bisschen Stärke als Füllstoff. Wird es in den Teig gemischt, kommen Base und Säure zusammen und schäumen ein bisschen. Warum Kartoffelmehl oder was-auch-immer in Deine Kamera spachteln? Tipps in Werbezeitungen a la Bäckerblume von Doofen für Doofe schreiben immer wieder voneinander ab, dass man ggf. -zig Beutelchen Backpulver auch gegen Rohrverstopfung in den Ausguß schütten soll und Essig hinterherkippen. Prinzip dasselbe: Base und Säure zusammenbringen, schäumt vielleicht auf. Aber warum soll man in seinen bereits verstopften Abfluss auch noch Stärke kippen, von den vielfachen Kosten ganz zu schweigen.
Ein bis fünf Kilo Natron (Natriumhydrogencarbonat, NaHCO3) als Lebensvorrat, das Kilo 6,62 Euro, fünf Kilo ab 15 Euro, beim Versandbuchhändler geordert, oder eine Haushaltsmenge z.B. Kaiser-Natron (ist dasselbe) gekauft. Es gibt Ratschläge für andere Zuschlagstoffe, wie von Bleistiftminen abgekratzte Zusatzstoffe, Sand oder feinste Glaskugeln. Sie sind kontraproduktiv bzw. nur dafür da, dem Sekundenkleber Fülle zu verleihen, nicht, die Festigkeit zu erhöhen. Eigene Erfahrung. Acrylcyanat soll durch Basen und durch Feuchtigkeit (Luft, anhauchen) gefestigt werden, nicht durch den Dreck von der Kehrschaufel.
Natron im Haus zu haben, ist schon dafür sinnvoll, weil es ein Mittel gegen Sodbrennen ist - es neutralisiert die Salzsäure im Magen. 1 Teelöffelspitze genügt. Natron hat die Lebensmittelqualität E500. Keinesfalls Dauereinnahme, genausowenig wie das nächst wirksamere Pantoprazol. Man schmeisst dadurch nur einen Schraubenschlüssel in das normalerweise gutfunktionierende körpereigene Reguliersystem.
Ja, Kaiser-Natron hab ich sogar noch von der Weihnachtsbäckerei. Dann werde ich mal bei Gelegenheit eine kleine Testreihe starten und schauen, wie es an Holz haftet und wie es sich beim Bohren verhält...