vor mir liegt eine Miniatur-Spreizenkamera, bei deren Bestimmung ich um Mithilfe bitten möchte.
Als Hersteller setze ich mit der gebotenen Vorsicht vorläufig Hüttig an. Als solche wurde die Kamera auch angeboten; für Hüttig spricht zumindest das Pentagramm auf dem Verschluss (Automat XI?) mit dem Zeitenbereich 1–100. Aber ist das ein hinreichendes Indiz? Weitere Hinweise auf den Hersteller finden sich nicht; es gibt am Gehäuse auch keine Stelle, an der eine Plakette fehlt, wie man sie an Hüttig-Kameras sonst häufig findet. Das Gehäuse besitzt allerdings eine fünfstellige Seriennummer im Ica-Format, also mit vorangestelltem Buchstaben (hier A). Den Buchstaben gab es meines Wissens nicht bei Hüttig, aber bei Krügener-Kameras…
Zunächst der Befund: Es handelt sich um eine Plattenkamera im Format 4,5x6 in Spreizenkonstruktion. Das Gehäuse besteht aus Holz mit schwarzer Belederung, das Objektivbrett aus Metall. Die Spreizen sind als seitliche Scherenspreizen ausgeführt. Die Entfernungseinstellung erfolgt über ein seitliches Drehrad, das auf die Spreizen wirkt; auf der Oberseite befindet sich eine Skala mit einem wandernden Zeiger. Die Konstruktion erinnert ein wenig an Nettel-Kameras, allerdings fehlt das charakteristische Lenkersystem.
Der selbstspannende Verschluss 1–100 ist bündig in die Frontplatte eingelassen. Der Auslöser befindet sich seitlich; als Sucher fungiert ein recht breiter klappbarer Rahmensucher mit doppeltem Visier; der Rahmen weist zusätzlich mittige Orientierungsmarken auf.
Verbaut ist ein frühes Tessar 6,3/5,5 mit der Seriennummer 113.xxx, das in die Zeit vor 1912 zu datieren ist. Bemerkenswert ist die kurze Brennweite von 55 mm (sonst eher an Stereokameras 4,5x10,7 zu finden), die die Kamera praktisch zu einer Weitwinkelkamera macht. Erste Vermutung: Eine nachträgliche Modifikation? Immerhin deckt das Objektiv aber das Bildfeld vollständig ab, ist also grundsätzlich geeignet. Auch die Werte auf der Entfernungsskala passen zur jeweils eingestellten Entfernung; der Skalenbereich umfasst Werte von 1 m – ∞, der Balgen lässt sich aber noch weiter ausfahren, sodass sich eine Naheinstellgrenze von ca. 25 cm ergibt! Bei der Beschriftung bin ich mir aber nicht sicher, ob es sich nicht um eine nachträglich angebrachte Gravur handelt: Evtl. doch eine Modifikation? Insgesamt ergibt sich so eine Handkamera, die für Monentaufnahmen aus der Hand prädestiniert ist. Dazu passt, dass das Gehäuse kein Stativgewinde besitzt – was zur Frage führt, wozu dann ein Mattscheibenrückteil dienen soll... Immerhin lässt sich die Kamera dank eines kleinen Stifts am rechten Spreizenbügel gerade hinstellen. Die seitlichen Griffe am Objektivbrett wiederum fungieren als Aufstellhilfe für das Hochformat.
Das Mattscheibenrückteil besitzt einen Holzrahmen und einen federnden Lichtschacht mit Belederung. Um welchen Falz es sich handelt, weiß ich nicht – kompatibel sind jedenfalls Kassetten, wie sie in die Nettel Tettix (--> https://blende-und-zeit.sirutor-und-comp...&thread=172) passen. Die Kamera ist durchdacht konstruiert und sehr sorgfältig verarbeitet. Bemerkenswert, wie klein sie trotz des technischen Anspruchs ist: Bei den Abmessungen 9 x 7,5 x 2,5 cm wiegt sie inkl. Mattscheibenrückteil nur 217 g! Kein Vergleich mit Goerz Tenax oder Ica Bébé; da kann allenfalls die simple Ernemann Liliput mithalten.
Eine Hüttig-Spreizenkamera mit solchen Merkmalen habe ich nicht gefunden; allerdings sind die Hüttig-Produkte auch nicht so gut dokumentiert. Aus dem Ica-Programm ist mir auch kein potenzielles Nachfolgemodell bekannt. Es bleibt aber die Seriennummer im Ica-Format (s. oben). Handelt es sich also möglicherweise um eine frühe Ica-Kamera, die spätestens 1912, als Zulauf übernommen wurde und das Modell Bébé einbrachte, aus dem Programm verschwand? In den einschlägigen illustrierten Katalogen/Bestimmungsbüchern (Abring, Auer, Cornwall, Kerkmann, Umstätter) bin ich nicht fündig geworden. Hilfreich wären vielleicht zeitgenössische Originalkataloge aus der Zeit um 1910.
Daher meine Frage: Kennt jemand dieses Modell oder kann mir nähere Hinweise zur Identifikation geben? Vielen Dank!
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Hallo miteinander, Ich habe in meiner Bildersammlung 2 Exemplare dieser Kamera: eine mit "Wünsche Reicka Dop. Anast. 6,8 6,0cm" und eine mit "Tessar 6,3 5,5cm", sonst die gleiche Kamera. Gruss Sascha
vielen Dank, sehr interessant! Das mit dem Tessar 6,3 könnte mein Expl. sein – die Kamera wurde längere Zeit im Netz angeboten. Das weitere Exemplar mit der Wünsche-Bestückung liefert aber die Bestätigung, dass das kurzbrennweitige Objektiv tatsächlich zur Kamera gehört, und verweist ebenfalls auf das Dresdner Hüttig-Wünsche-Ica-Umfeld...
Hallo Rainer, aufnehmen - ja bitte, aber am besten als „unbekannt“ kennzeichnen; ein Verweis auf Wünsche scheint mir nicht gerechtfertigt, da gibt es an diesem Expl. keine Indizien.
ein kurzer Nachtrag zu dieser Kamera: Ein Sammlerkollege wies mich darauf hin, dass die Tessare 6,3/55 mit der Nummer 113xxx lt. Thiele von 1909 stammen und gleiche Objektive aus diesem Nummernbereich an einer Ica Stereolette A 542xx verbaut sind; das könnte ein Indiz dafür sein, dass es sich bei meiner Kamera (Seriennummer A 452xx) ebenfalls um eine frühe Ica handeln könnte...