das Fragezeichen im Betreff deutet schon an, dass bei der Bestimmung der vorzustellenden Kamera noch ein leichter Restzweifel besteht. Wir haben es mit einem Übergangsmodell zu tun, das zwei Herstellernamen, aber keine Typenbezeichnung aufweist und bei dessen Bestimmung man auf Katalogabbildungen/-beschreibungen angewiesen ist.
Es handelt sich um eine Laufbodenkamera im Aufnahmeformat 8x10,5 für Rollfilm 118 bzw. Platten 9x12. Das Gehäuse besteht aus Holz, der Laufboden aus Aluminium. Die Kamera besitzt einen doppelten Auszug und zur Stabilisierung des langen Balgens automatische Balgenstrecker im vorderen Bereich. Die Fokussierung erfolgt mittels Zahntrieb. Die Entfernungsskala ist zum Ausgleich unterschiedlicher Bildebenen zwischen Film- und Platten-Betrieb umschaltbar.
Das Objektivbrett kann horizontal durch Zahntrieb und vertikal über einen Hebel, der auf einen Zahnkranz wirkt, verstellt werden. Als Sucher fungiert ein umklappbarer Brillantsucher mit Libelle. In den Falz auf der Rückseite können Rückteile bzw. Kassetten mit Normalfalz eingeschoben werden; bei Rollfilmbetrieb gehört ein Abdeckschieber mit Rotfenster in den Falz.
Ein kurioses Detail: Die Kamera besitzt zwei Filmschlüssel, jeweils mit eigener Drehrichtung! Es spielt also keine Rolle, wie der Film eingelegt wird. So erklärt sich auch, warum das Rückteil auf zwei Seiten den Vermerk Oben trägt…
Verbaut ist ein E[mil] Wünsche (Reick) Extra-Rapid Aplanat 1:8 in einem „Reicka“ Automat-Verschluss mit Luftbremse, Zeitenbereich 1–100, B und T. Außer der T-Stellung gibt es wie bei modernen Großformat-Verschlüssen noch einen gesonderten Hebel, mit dem der Verschluss zur Fokussierung schnell geöffnet werden kann, ein raffiniertes Detail. Die Beschriftung lässt erkennen, dass diese Kamera von Wünsche gebaut wurde; charakteristisch ist auch das Design der Handhaben.
Die Emil Wünsche AG, Dresden, fusionierte 1909 bekanntlich mit der Hüttig AG, Dr. Krügener und Zeiss Palmos zur Ica AG. Die Kamera trägt an der Seite eine entsprechende Plakette mit Firmensignet (Pentagramm) und der Jahreszahl 1910. Sieht man genau hin, erkennt man, dass diese Plakette auf eine darunter befindliche elfenbeinfarbene Plakette aufgebracht wurde.
Es ist zu vermuten, dass mit dem Ica-Zeichen eine vorhandene Wünsche-Plakette abgedeckt wurde. Ich möchte sie nicht lösen, um nichts zu beschädigen, gehe aber davon aus, dass hier eine Wünsche-Kamera, die ins Ica-Programm übernommen wurde, entsprechend umgelabelt wurde. Wir haben es jedenfalls mit einer sehr frühen Ica-Kamera zu tun; die Jahreszahl gibt den Hinweis.
Ica-Kameras tragen normalerweise eine Nummer mit einem vorangestellten Buchstaben, der Hinweise auf das Produktionsjahr gibt. Für den Zeitraum 1909–11 ist das üblicherweise der Buchstabe A. Die vorliegende Kamera trägt eine nur zweistellige Nummer ohne Buchstaben, folgt also nicht dem Ica-Nummerierungssystem. Bei einer umgelabelten Kamera ist das allerdings nicht verwunderlich. Ob die 26 eine Wünsche-Seriennummer ist oder nur eine Teilenummer oder ob ich die richtige Seriennummer nicht gefunden habe, weiß ich nicht.
Eine Modellbezeichnung trägt dieses Exemplar nicht; entsprechende Kameras wurden bei Wünsche aber unter der Bezeichnung Nixe geführt; diese Bezeichnung wurde von der Ica übernommen (und noch später bei Zeiss Ikon weitergeführt). Aufschluss bietet der Katalog des Hamburger Fotohändlers Wiesenhavern aus dem Jahr 1910; hier ist die Ica Nixe 557 aufgeführt; Beschreibung und Abbildung entsprechen exakt der vorliegenden Kamera: Ausstattung, Details des Designs in der Abbildung – alles identisch, abgesehen davon, dass Ica- bzw. Deckel-Verschlüsse und Objektive von Ica und Zeiss gelistet sind, auch der Extra-Rapid-Aplanat, jetzt als Helios bezeichnet.
Im Ica-Katalog 1912/13 – das ist der älteste, der mir vorliegt – ist das Modell Nixe 557 schon nicht mehr gelistet; die Nixe im Format 8x10,5 wurde fortan mit leichten Änderungen im Design und der Konstruktion (Laufboden, Standarte, Handhaben) unter der Modell-Nr. 555 geführt (ein Exemplar stelle ich noch vor) und blieb bis 1932 im Ica- bzw. Zeiss Ikon-Programm, zuletzt als Zeiss Ikon 551/17 (https://blende-und-zeit.sirutor-und-comp...&thread=240).
Das vorliegende Exemplar ist mit einer Packfilmkassette ausgestattet, die noch einige unbelichtete Planfilme Kodak Super-XX (1940–?) enthält. Rollfilm würde eher passen – entweder war Filmpack seinerzeit leichter zu bekommen, oder der 118er war bereits vom Markt (1961) – oder die Kassette gehört ursprünglich gar nicht zur Kamera…
Ich habe die Kamera aus Schweden, sie trägt auf der Vorderseite an prominenter Stelle den Verweis auf den Händler Edv. Nerlien A.B., Stockholm.