[ iIa ] Ernemann Heag XIV 9x12 (Zweiverschlusskamera)
Hallo miteinander,
diese Kamera sieht mit ihren abgerundeten Gehäuseseiten wie eine Rollfilmkamera aus. In den runden Seitenteilen befinden sich jedoch keine Filmspulen, sondern die Mechanik eines Schlitzverschlusses. Die Heag XIV ist eine Zweiverschluss-Kamera; der Katalog 1914 bewirbt sie als "Ideal-Kamera fur Sportsleute und Touristen".
Es handelt sich um eine Laufbodenkamera für Platten im Format 9x12. (Es gab auch eine Version im Westentaschenformat 4,5x6.) Die Kamera verfügt über einen doppelten Auszug und Zahntriebeinstellung. Das Objektivbrett ist wie üblich vertikel und horizontal verstellbar. (Der Entriegelungsknopf für die vertikale Verstellung fehlt auf einer Seite, er lässt sich aber gelegentlich ergänzen.) Neben dem Brillantsucher ist ein ausklappbarer Newtonsucher vorhanden. Im vorliegenden Exemplar ist ein Ernemann Ernastigmat 6,8/13,5 in Automat B (1–1/100) verbaut. Bis dahin also eine ziemlich normale Plattenkamera.
Zusätzlich ist jedoch ein Schlitzverschluss eingebaut, der den Zeitenbereich 1–1/1000 s. umfasst. (Beim bis 1918 angebotenen früheren Modell war die kürzeste Zeit sogar 1/2500 s.) Ob die kurzen Zeiten bei den seinerzeit üblichen Empfindlichkeiten und dem vergleichsweise lichtschwachen Objektiv wirklich genutzt werden konnten, erscheint mir fraglich. Die Steuerung des Verschlusses erfolgt über die Einstellung der Schlitzbreite; Auskunft gibt eine Tabelle an der Seite.
Ausprobieren konnte ich den Schlitzverschluss nicht, er ist – wie in den meisten Fällen – defekt (vermutlich Bänder gerissen).
Zur Datierung des Exemplars: Angeboten wurde das Modell im Zeitraum 1909–1922. Da Laufboden und Standarte schwarz ausgeführt sind (seit 1913), die kürzeste Verschlusszeit 1/1000 beträgt (seit 1918) und als Warenzeichen das EW-Signet (um 1921) und das Malteserkreuz (seit 1920) verwendet werden und übrerdies der neuere Newtonsucher verbaut ist, dürfte es ein Exemplar vom Ende des Produktionszeitraums sein, also ca. 1920–22 gebaut worden sein.
tolle Kamera! Für mich immer wieder faszinierend, was vor über 100 Jahren schon technisch möglich war. Mit Verschlußzeiten um 1/2500 sec. hätte ich 1918 wirklich nicht gerechnet.
-------------------------------------------------- Mit besten Grüßen aus dem "echten Norden" Andreas
AWR59:Für mich immer wieder faszinierend, was vor über 100 Jahren schon technisch möglich war. Mit Verschlußzeiten um 1/2500 sec. hätte ich 1918 wirklich nicht gerechnet.
Hallo,
das allein ist wohl keine Hexerei. Ich gehe mal davon aus, daß der Schlitz beispielsweise in einer fünfundzwanzigstel Sekunde über das ganze Bildfenster gezogen wird. Wird er auf 50mm gestellt und das Bildfenster sei 100mm lang, resultiert daraus schon eine Fünfzigstel Sekunde Belichtungszeit, auf 5mm einjustiert ist's eine fünfhundertstel, bei zweieinhalb Millimeter eine 1000stel ... pro Bildpunkt, niemals für das gesamte Bildfenster wie bei einem Zentralverschluß.
Deswegen haben Fotos von Rennwagen früherer Zeiten ovale Räder.
Bei Kleinbild-Spiegelreflexkameras konnte man die wirkliche Zeit, bis das ganze Bildfenster belichtet war, an der Blitzsynchronzeit erkennen, und die war den besseren Teil eines Jahrhunderts typischerweise 1/30stel, dann in die Größenordnung von 1/100stel wandernd, und es wurden konstruktive Tricks wie metallene Verschlußlamellen und vertikaler Ablauf (macht 24 statt 36 mm zurückzulegender Weg) angewandt.
Die technische Reife könnte man wohl daran ermessen, wie lange der Schlitzverschluß an dem einen Bildrand "Anlauf" nimmt, am anderen Bildrand wieder "bremst". Von der Edixa Spiegelreflexkamera wurde kolportiert, daß sie nicht ganz gleichmäßig belichtete. Ich habe selber eine auf mehreren Kontinenten benutzt und konnte nie einen Mangel feststellen. Und der Zwang, hier mit sehr hoch beschleunigten Teilen zu arbeiten, dürfte hinreichend erklären, warum die feinen Bändchen und Tücher irgendwann doch mal reißen.
tolle Kamera! Für mich immer wieder faszinierend, was vor über 100 Jahren schon technisch möglich war. Mit Verschlußzeiten um 1/2500 sec. hätte ich 1918 wirklich nicht gerechnet.
-------------------------------------------------- Mit besten Grüßen aus dem "echten Norden" Andreas
Hallo zusammen,
und Danke an Jan für die Vorstellung dieser interessanten Kamera!
Ich frage mich bei diesen Verschlusszeiten (1/2500) und einer Kamera mit Blende 6.8, ob das beim damals zur Verfügung stehenden Aufnahmematerial überhaupt einen praktischen Sinn ergibt?
axel:Ich frage mich bei diesen Verschlusszeiten (1/2500) und einer Kamera mit Blende 6.8, ob das beim damals zur Verfügung stehenden Aufnahmematerial überhaupt einen praktischen Sinn ergibt?
Das frage ich mich auch, Axel. Interessanterweise gab es zu Beginn des Jahrhunderts ja eine ganze Reihe solcher Modelle mit Schlitzverschluss bzw. in der Zwei-Verschluss-Bauweise; alle größeren Hersteller hatten m.W. so etwas im Programm. In den Katalogen wird immer die Eignung für Sportfotografie hervorgehoben. Das kann zwar nicht nur ein Werbegag gewesen sein; aber ich würde annehmen, dass die längeren Zeiten um 1/100 bedeutend häufiger verwendet wurden...