die große Popularität der Stereofotografie im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts hat ihren Ursprung in Frankreich, wo seit dem späten 19. Jahrhundert zahlreiche Hersteller Stereokameras anboten. Besonders erfolgreich waren die Produkte des Pariser Herstellers Jules Richard, mit dessen Vérascope, erstmals 1893 angeboten, sich das kleine Format 4,5x10,7 etablieren konnte (--> http://camera-wiki.org/wiki/Richard_(Jules)). Das Vérascope ist gewissermaßen der Prototyp der einfach zu bedienenden Stereo-Handkamera in Kastenform mit Wechselkassette, wie sie im deutschsprachigen Raum später von Zulauf bzw. Ica, Voigtländer und anderen angeboten wurde. Mit Voigtländer gab es im Zeitraum 1904–1905 auch eine kurzzeitige Kooperation; gemäß Prochnow (Voigtländer-Report 2, S. 16-390) bezog Voigtländer das Wechselmagazin seines ersten Stereophotoskops (1905) von Richard und lieferte im Gegenzug Objektive nach Paris.
Vorgestellt sei hier exemplarisch ein Vérascope Modell 1905.
Zur Modellbestimmung vorab ein Hinweis: Bei den Vérascopen herrscht eine beinahe unübersehbare Vielfalt von Modellen und Varianten, zumal später auch die Formate 6x13 und 7x13 (!) hinzukamen. Auf stereoskopie.com heißt es dazu: „Von der "Verascope" (in allen Formaten) wurden insgesamt 78 Modell-Varianten mit 7 verschiedenen Wechselkassetten und 4 verschiedenen Rollfilmmagazinen hergestellt. Eine Zahl wie sie kein zweites Fabrikat auf dem Markt erreicht hat.“ Einen ersten Eindruck davon bekommt man, wenn man sich die Modelle und Katalogauszüge auf der Seite von Sylvain Halgand anschaut (--> https://www.collection-appareils.fr/gene...Richard%20Jules).
In einer mir vorliegenden Bedienungsanleitung vom April 1906 werden die Modelle nach Erscheinungsjahr bezeichnet, ebenso im catalogue général (1906) von E. Krauss (Paris); in späteren Druckschriften tragen sie Modellnummern.
Doch zunächst zur vorliegenden Kamera:
Es handelt sich um eine Stereokamera in Kastenbauweise für Platten im Format 4,5x10,7. Auffällig ist zunächst, dass das Metallgehäuse keine Belederung besitzt, was ihm auf den ersten Blick einen etwas rustikalen Charme verleiht. Das ist ein Merkmal aller Richard-Modelle, findet sich aber auch bei anderen französischen Stereokameras. Bei vielen Exemplaren ist die Oberfläche bereits angegriffen; die gezeigte Kamera präsentiert sich hingegen in sehr ansehnlichem Zustand, und der blaugraue Farbton wirkt recht elegant. Auf der Oberseite ist ein Brillantsucher eingelassen, daneben befinden sich eine Libelle und eine Bohrung, die einen Stativkonus aufnimmt. Seitlich ist ein klappbarer Newtonsucher für Aufnahmen aus Augenhöhe angebracht. Interessanterweise gibt es auch auf der Unterseite eine Libelle, sodass man die Kamera auch um 180° drehen oder Über-Kopf-Aufnahmen machen könnte…
Das Objektivbrett ist vertikal verschiebbar. Das ist eine Neuerung, die mit dem Modell 1903 eingeführt wurde und seither Kennzeichen der besser ausgestatteten Varianten war. Das gilt auch für die Objektive, zwei CZJ Tessare 6,3/54 mm (einfache Varianten sind mit unbezeichneten Objektiven ausgestattet). Die fünfstelligen Seriennummern der Tessare legen eine Datierung vor 1910 nahe.
Das passt zu der Abbildung des Modells 1905 aus der Anleitung von 1906:
In der Mitte des Objektivbretts befindet sich der Spannhebel für den Guillotine-Verschluss; die fünf Zeiten werden mit dem Drehrad links neben dem Sucherauge eingestellt. Werte sind nicht angegeben; die Endpunkte der Skala sind mit V(ite) bzw. L(ente) markiert. Mit dem Schieber 0–1–2 können Lochblenden eingestellt werden. Mit dem Schieberegler I–P kann zwischen Momentzeit I[nstant] und P [T] gewechselt werden, wobei der Verschluss sich öffnet, wenn der Auslöser halb gedrückt wird, und sich bei vollständigem Durchdrücken wieder schließt. Ähnliche Konstruktionen finden sich später an den ersten Polyscop-Modellen von Zulauf bzw. Ica. – Die Wippe über dem Auslöser dient der mechanischen Koppelung mit einem Drahtauslöser.
Aufgrund der mäßigen Lichtstärke (hier 1: 6,3) und der kurzen Brennweite ist eine Entfernungseinstellung nicht erforderlich; Richard hat zumindest bei den kleinen Vérascopen konsequent auf die Möglichkeit der Fokussierung verzichtet; das wird noch in einem späteren Katalog von 1924 ausführlich begründet.
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Die Kamera ist mit einem Wechselmagazin mit Zählwerk ausgestattet; damit wurde der Standard für spätere Kastenkameras gesetzt. Man konnte das Vérascope aber auch mit einer Rollfilmkassette aus dem umfangreichen Zubehörprogramm ausstatten – das gab es weder bei Ica noch bei Voigtländer. Das Magazin ist Bestandteil des Systems, denn am Magazin befindet sich der Diopter für den Newtonsucher. – Vollständige Kompatiblität ist nicht gegeben; ich kann zwar ein Ica Magazin montieren, das Vérascope-Magazin passt aber an kein Polyscop. Wenn ich die Funktionsweise richtig verstehe, gibt es bei diesem Magazin kein Rollo, das bei geschlossener Schublade vorgezogen werden kann; Lichtschutz ist nur gegeben, wenn die Schublade gezogen ist.
Die Modelle unterscheiden sich, wie erwähnt, hinsichtlich der Konstruktion und der optischen Ausstattung. Die besseren Exemplare hatten Objektive von Carl Zeiss (oder auch von Voigtländer, s. oben), später lieferten Krauss (Paris) und französische Hersteller wie Berthiot Objektive. Um 1908 wurde der Verschluss durch den technisch verbesserten „Chronomos“ ersetzt.
Die Vérascope-Modelle waren auch auf dem deutschen Markt verbreitet; erwähnt werden sie beispielsweise in den zeitgenössischen Handbüchern zur Stereofotografie. So bemerkt Eduard Tropsch in seiner Praxis der Stereoskopie (1931) nach der Marktübersicht über Stereokameras deutscher Hersteller: „Der Vollständigkeit wegen und um nicht einseitig zu erscheinen, müssen hier auch noch die Stereo-Kamera-Fabrikate der Firma J. Richard-Paris, [!] angeführt werden, die seit vielen Jahren in der Stereo-Fachwelt bekannt sind. Die Richard „Verascope“ […] sind in einer großen Anzahl von Modellen billigster bis zur höchsten Preislage erhältlich.“