ich habe gerade eine neue Kamera bekommen die ich gern mal zeige. Die Newman & Guardia Sibyl Excelsior ist eine Laufbodenkamera für Aufnahmen im Format 2 ½ x 4 ¼ Zoll für 116er Rollfilm, die im Vereinigten Königreich von 1927 bis (ca.) 1933 hergestellt wurde. Es gab ein fast baugleiches kastenförmiges Model, die „Sibyl Vitesse“ für Platten. Mein Exemplar trägt die Seriennummer 114, bei Chrisbies gab es 2002 ein Exemplar mit der höchsten mit bekannten Nummer von 198 zu versteigern. Bei Erly Photography vermutet man, dass mit der Nr. 100 beginnend nur 100 Stück hergestellt wurden. Die Verkauspreise von Versteigerungen reichen von 175 bis 3.750 € (Leitz Photograpica Auktion) bei ähnlichem Erhaltungszustand – das ist irgendwie erstaunlich. Die meisten Kameras werden für einen unteren 3-Stellingen Betrag verkauft oder angeboten. Eigentlich schade, denn würde auf dem Gerät Leica draufstehen, könnte man davon ziemlich gut Essen gehen.
Die Kamera ist vorwiegend aus Aluminium hergestellt und mit feinstem Marokkoleder bezogen. Der Balgen ist gleichfalls aus schwarzem Leder und nach fast 100 Jahren immer noch lichtdicht und flexibel. Sie besitzt die für Newman & Guardia Sibyl-Kameras typischen Scherenstreben, die so filigran sie sind, der Standarte eine sehr gute Stabilität und Ausrichtung geben. Die Frontplatte ist die übliche quadratische Metallplatte, hinter der sich ein pneumatisch gesteuerter Zweiblatt-Schwenkverschluss von Newman & Guardia verbirgt.
Der Excelsior-Verschluss ist eine verbesserte Version des Verschlusses der New Ideal Sibyl. Die Verschlusslamellen werden durch eine Nocke gesteuert, die das Öffnen und Schließen der Lamellen bewirkt. Bei früheren Modellen wurden die Lamellen direkt vom Pneumatikzylinder gesteuert. Die Nocke verlangsamt die Lamellen während der Belichtungsmitte und beschleunigt die Lamellenbewegung beim Öffnen und Schließen des Objektivs. Das Objektiv ist ein Ross Xpres f 4.5, 136mm (was das für ein Typ ist weiß ich leider nicht). Die Blendeneinstellung ist wunderbar leichtgängig. Ein schönes Detail, das mich überrascht hat, ist eine kleine zweiteilige Sonnenblende (vermutlich eine Originalausstattung), die zwar nur eine geringe Abschattung bringt aber immerhin.
Der Verschluss ermöglicht Zeiten von 2 bis 1/150 Sekunde + B und T, läuft noch über allen Zeiten; innerhalb einer +/- Abweichung von 30 % bewegen sich aber nur noch 5 von 10 Einstellungen. Nachdem ich ein paar Kleinigkeiten gerichtet hatte, ließe sich die Kamera benutzen, gäbe es noch die alten 116er Filme, die man von 1899 bis 1984 kaufen konnte. Da es sich bei der Filmbühne um eine ca. 1 mm starke, einfache, plane Aluplatte handelt, die leicht auszutauschen ist, habe ich vor eine Platte für 120er Rollfilme anzufertigen.
Oben an der Frontstandarte befindet sich ein klappbarer Brillantsucher mit Mattscheibe, der auf den ersten Blick ein erstaunlich helles Bild liefert – tendenziell besser als man es von den Standart-Brillantsuchern gewohnt ist. Auf den zweiten Blick stört etwas, dass das Bild auf der Minimattscheibe natürlich nicht sehr scharf (unvermeidlichen Körnung der Mattierung) ist, aber zumindest hat man für die Bildkomposition einen ziemlich guten Eindruck davon, was fotografiert wird. Der Sucher ist für horizontal ausgerichtete Aufnahmen schwenkbar und besitzt zwei Miniaturwasserwaagen für die Ausrichtung die auch nach der langen Zeit von fast 100 Jahren noch gefüllt sind. Einwenden kann man dagegen, dass eine Wasserwage an einem ultrafiligranen Sucher Schwachsinn ist, da der sowieso immer etwas verbogen in der Ausrichtung war, aber das ist die damals herrschende Idiotie, die bei vielen Herstellern zu finden war – nichts als Fake, den es auch damals schon gab. Die Kamera verfügt über eine Einrichtung zum horizontalen wie vertikalen Schiften zur Perspektivkorrektur. Beim vertikalen Schiften kann man den Sucher gleichfalls in der Höhe korrigieren, um den korrekten Bildausschnitt angezeigt zu bekommen. Die Fokussierung erfolgt über einen Radialhebel mit einer Skala in Yards inkl. Schärfentiefeanzeige.
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Die zweigeteilte Rückwand wird durch eine Funktion des Umspulhebels beim Herausziehen und Drehen gegen die Umspulrichtung entriegelt, ein Pfeil für die Umspulrichtung fehlt. Eine ziemlich einzigartige Form der Entriegelung, die ich noch nie zuvor gesehen habe. Wer das nicht weiß, kann daran verzweifeln. Ich hatte Glück, dass sich die Rückwand nicht mehr verriegeln ließ, da ein Federblech leicht verbogen war – es hat eine Weile gedauert bis ich das Prinzip entdeckt und verstanden hatte, dann genügten einige Sekunden, um den Mechanismus wieder in Funktion zu setzen. Die Rückwandentriegelung über das Herausziehen des Umspulknopfs wurde übrigens sehr viel später für die 35 mm Spiegelreflexkameras noch mal genutzt (vielleicht weiß jemand wer das zuerst umsetzte).
Beim Öffnen der Rückwand (genauer der linken Seite) heben sich die Ladespulenhalter aus dem Kamerainnenraum heraus, sodass man den Rollfilm spielend leicht einlegen kann. Der Film wird durch eine zweigeteilte Andruckpatte auf die Filmbühne gedrückt. Das Filmnummernsichtfenster der Rückwand lässt sich verschließen. Das sind alles ziemlich fortschrittliche Details für den Produktionszeitraum, die die meisten Deutschen Kameras zu diesem Zeitpunkt noch nicht aufwiesen (Andruckplatte, verschließbares Filmnummernfenster). Der Preis betrug 32,10 £ (entsprechen ca. 2.000 £ heute und damit 2.400 € in 2025). Was damals vermutlich ein kleines Vermögen war.
Einziges Manko ist der Tragebügel, der leicht nach hinten geklappt das Öffnen der Rückwand blockiert. An den Lederschleifspuren der Rückwand erkennt man, dass das den Vorbesitzern mehrfach passiert sein muss – auch mir. Vermutlich genzwertig ist die Lichtdichtigkeit der Rückwandklappen, denn eine Lichtdichtung der mittleren, falzfreien Überlappung (klappert etwas) fehlt.
Insgesamt eine ziemlich eigenwillige Konstruktion mit sehr schönen ungewöhnlichen Details, die damals vermutlich echten Luxus darstellten. An der Verarbeitung gibt es nicht viel auszusetzen. Manche Details sind etwas unterdimensioniert, so erfolgt die Rastung des schwenkbaren Suchers in ca. 0,11 mm tiefen und 0,8 mm durchmessenden Löchchen. Das erforderte etwas Präzision, um das wieder zum Funktionieren zu bringen und ist nicht sonderlich verstellsicher. Die verwendeten Bleche sind mit Scherenstreben: 0,88 mm, Standarte: 0,76 mm, Laufschienen: 0,63 mm und Sucher: 0,46 mm Dicke mir persönlich zu filigran, das ist nichts für die Ewigkeit und wenn die Kamera nach den kleineren Korrekturen (zu dünne Bleche richten) wieder funktioniert, so ist das wohl eher der seltenen Benutzung in den vergangenen, knapp 100 Jahren geschuldet, auf die der gute Erhaltungszustand hinweist. Das kann man auch als Zeichen für eine ungeliebte Kamera werten, da der Besitzer aus irgendeinem Grund nicht zufrieden war. Die filigranen Ausführungen haben andererseits zu einer 988 g leichten Kamera geführt, was für die Größe von 220 mm x 120 mm x 40 mm eher wenig ist. Der Kameratyp war bei der Einstellung aufgrund des pneumatischen und damit wenig präzisen Zweiblattverschlusses schon länger veraltet.
vielen Dank für die Vorstellung dieser interessanten Kamera! Ich kannte bislang nur die Sibyl Plattenkamera 4,5x6. Das sind ja wirklich raffinierte Details. Eine Frage zum Verschluss: Der Knopf neben dem Zeitenraad dürfte der Auslöser sein. Das bedeutet ja, dass man beim Auslösen gegen die Standarte drückt; ist die hinreichend stabil? Und lässt sich da gar kein Drahtauslöser anschließen?
Holgerx:der seltenen Benutzung in den vergangenen, knapp 100 Jahren geschuldet, auf die der gute Erhaltungszustand hinweist. Das kann man auch als Zeichen für eine ungeliebte Kamera werten, da der Besitzer aus irgendeinem Grund nicht zufrieden war.
Denkbar ist natürlich auch, dass die Kamera angesichts des Preises als Statussymbol angeschafft und geschont wurde bzw. außer zu den obligatorischen Familienfesten kaum Filme gesehen hat. Wer weiß...
der Knopf neben dem Zeitenrad ist der Auslöseknopf, der ist weder leicht- noch schwergängig, zumindest bewegt sich die Standarte nicht beim Auslösen. Allerdings musste ich die Arretierung der Standarte etwas richten, damit die sich nicht bei der kleinsten Berührung selbstständig macht. Wie ich schon erwähnte, ist vieles etwas filigran, aber richtig eingestellt durchaus funktionell. Einen Anschluss für unser gängiges kegeliches Gewinde für Drahtauslöser gibt es nicht, aber es gab von Newman & Guardia einem besonderen Schuh, den man auf den Konus aufschieben konnte mit dem über eine kleine Hebelumlenkung (Druck von der Seite) in den Konus reingedrückt wird (siehe Bild). Die Hebelarme sind dabei im Verhältnis von ca. 3:1 ungünstig gestaltet und im Drahtauslöser gibt es zusätzlich einiges an Reibung, sodass sich keine meiner Sibyls damit auslösen lässt. Hat vielleicht mal im Neuzustand funktioniert, ist aber für die Ewigkeit auch wieder zu knapp bemessen.
Die Newman & Guardia im Format 4,5 x 6 cm kannte ich noch nicht, ist wohl eine Baby Sibyl (zeig doch mal). Ich hab auch noch eine älter „New Special Sibyl“ (Plattenkamera), 1:4,5, F=112 mm im Format 3 ¼" x 4 ¼" (6,5 x 9 cm) mit etwas Zubehör wie einem häufig angebotenem Teleobjektiv 1:6,5, 180 mm, Gelbfilter, Sonnenblende (klappbar aus Tuch) und ein paar Platten plus Tasche etc. Das war vermutlich mal ein all inklusiv Angebot, das ich so schon mehrfach bei Ebay etc. gesehen hab.
Der Verschluss ist bei der New Special Sibyl übrigens noch kurioser als bei der Sibyl Excelsior. Müsste bei deiner auch so funktionieren. Zwei von außen im Objektiv abwechselnd sichtbare, sich um eine tiefliegende Achse (etwa auf Höhe des Spannhebels) drehende kellenförmige Lamellen tragen die Zeichen „o“ und „+“. Zum Spannen wird der Hebel unter der Linse in die Position „o“ oder „+“. bewegt, die dem abgebildeten Symbol im Objektiv entspricht. Beim Aufnehmen des Bildes schwingt die erste Kreislamelle aus dem Strahlengang heraus während sich die zweite dann wieder hineinschiebt und das andere Zeichen präsentiert. Die Lamellen schwingen abwechselnd nach rechts und links, was man bei der ½ s wunderbar beobachten kann. Es lässt sich damit ablesen, ob die Kamera gespannt ist oder nicht. Was die sich damals alles ausgedacht haben, ist doch immer wieder überraschend, in diesem Fall konnte das aber vermutlich nur von einem spleenigen Engländer stammen.
Grüße Holger
New Special Sibyl, 1:4,5, F=112 mm im Format 3 ¼" x 4 ¼" (6,5 x 9 cm)
das ist ja mal ein besonderes Design, sieht man so sonst kaum. Die Spreizenkonstruktion an einer Laufbodenkamera, das hat schon was. Die Frontstandarte strahlt Gediegenheit aus, gefällt mir.
Beste Grüße von Haus zu Haus Rainer (Forumbetreiber)
Analog: Aus Negativ wird Positiv. Digital: Pixel sind nicht alles, aber ohne Pixel ist alles nichts.