[ 3 x iIa ] [1/3] Drei Rollfilmkameras 6,5x11 von Ica, Ernemann, Voigtländer im Vergleich
Hallo zusammen,
ein interessanter Aspekt des Sammelns ist ja, dass man nicht nur die Vielfalt der Exponate abbilden, sondern die Produkte unterschiedlicher Hersteller gründlich miteinander vergleichen kann. Daher scheint es mir reizvoll, an ausgewählten Beispielen konkurrierender Produkte einmal die Stärken und Schwächen nachzuvollziehen und zu beurteilen, wie die betr. Kameras qualitativ einzuschätzen sind. Ich komme darauf, weil es in der Sammlerliteratur und auf diversen Internetseiten recht allgemeine Bewertungen gibt; so heißt es zum Verhältnis von Ica und Ernemann bei wikipedia und auf anderen Seiten, Ernemann sei „bis 1926 der Ica mit Blick auf die technische Qualität der Produkte überlegen" gewesen (https://de.wikipedia.org/wiki/Internatio...iengesellschaft), und ähnlich urteilt Michael Sorms (https://www.dresdner-kameras.de/firmenge...firmen.html#ICA): "Die ICA-AG war aber nicht in der Lage den technischen Vorsprung der Produkte des Konkurrenten Ernemann aufzuholen."
Mir sind solche Einschätzungen zu pauschal, und ich kann auch nicht erkennen, in welchem Bereich Ernemann technisch überlegen gewesen sein soll – mit Ausnahme der Ermanox; so etwas hatte die Ica nicht. Daher möchte ich einmal vergleichend ausgewählte Kameras der beiden Dresdner Hersteller Ica und Ernemann vorstellen und einem Vergleich unterziehen. Mir liegt es fern, die Hersteller gegeneinander auszuspielen – ich sammele schließlich Kameras beider Fabrikate; aber gerade das ermöglicht einen unvoreingenommenen Vergleich. Ich nehme nach Möglichkeit noch ein vergleichbares Exponat von anderen Herstellern hinzu, vorzugsweise Voigtländer, da ich auch hier eine Reihe von Modellen im Bestand habe.
Ich beginne mit drei Kameras, die noch nicht im Museum sind, allesamt Laufbodenkameras für Rollfilm D-6 (116) im Aufnahmeformat 6,5x11. Alle drei Kameras sind Teil von Modellreihen, die in unterschiedlichen Formaten angeboten wurden. Sie besitzen einfachen Auszug und Radialhebeleinstellung und sind mit vierlinsigem Objektiv (Tessar bzw. Skopar) der Lichtstärke 4,5 in Compur bzw. dem Ernemann-Äquivalent Cronos C ausgestattet, und sie waren im Jahr 1927 im Handel.
Es handelt sich um: 1. Ernemann Bob V (6,5x11), Tessar 4,5/12, Chronos C. Angeboten im Zeitraum 1924–26 als Ernemann-Kamera, 1926 bis Oktober 1927 als Zeiss Ikon-Modell. Preis in dieser Ausstattung 1925 (Ernemann) 215,00 RM; 1927 (Zeiss Ikon) 162,00 RM.
2. Zeiss Ikon (< Ica) Icarette 500/15, Tessar 4,5/12, Ring-Compur. Diese Kamera ist die Weiterführung der Ica Icarette 501, in dieser Bestückung angeboten 1919–1926 (Ica) bzw. 1927 (Zeiss Ikon). Einzige Änderung bei Zeiss Ikon: Die Kamera bekam eine Metall- statt eines Holzgehäuses. NP 1925 (Ica) 187,00, 1927 (ZI) 155,00 RM. – Ich habe eine Variante dieser Kamera zwar auch als Ica und mit Holzgehäuse und Rad-Compur, das ist allerdings das Modell 502 für Rollfilm und Platten, das gesondert vorgestellt werden soll, auch wenn das Gehäuse gleich ist.
3. Voigtländer Rollfilm 6,5x11, 1. Modell, Skopar 4,5/11,4, Ring-Compur. Angeboten im Zeitraum 1927–30. Neupreis 1927: RM 95,00. Das abgebildete Exemplar besitzt den neueren schwarzen Aufsteller und den neueren Ring-Compur und ist ins Jahr 1929 zu datieren; ansonsten gibt es keine Veränderungen.
Die Icarette ist das älteste der drei Modelle; gebaut wurde sie schon seit 1909, seit 1919 in dieser Bestückung. Alle drei Kameras waren im Jahr 1927 im Handel erhältlich, das ermöglicht eine gewisse Vergleichbarkeit.
Die Ernemann war die mit Abstand teuerste der drei Kameras; zur Ernemann-Zeit wurde sie für 215 RM angeboten, die vergleichbare Ica (noch mit Holzgehäuse) kostete nur 187 RM. Nach der Übernahme ins Zeiss Ikon-Programm sank der Preis – 1927 waren 162 RM für die Bob zu zahlen, nur 155 für die Icarette. Im selben Jahr erschien die Voigtländer Rollfilm, sie war mit nur 95 RM deutlich billiger.
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[2/3] Drei Rollfilmkameras 6,5x11 von Ica, Ernemann, Voigtländer im Vergleich
(Fortsetzung)
Was bekam man nun im Jahr 1927 dafür, und wie ist das Preis-Leistungs-Verhältnis einzuschätzen?
Zunächst zur Icarette, dem am längsten auf dem Markt etablierten Modell.
Die Kamera besitzt wie die meisten Ica-/Zeiss Ikon-Laufbodenkameras eine Kippstandarte: Der Schlitten besitzt ein Scharnier, beim Einfahren des Schlittens rastet dieser ein, sodass er die korrekte Position einnimmt und die Laufschienen bei unachtsamem Zuklappen nicht verbogen werden. Auch beim Ausfahren muss der Schlitten einrasten, erst dann ist die Unendlich-Position korrekt eingestellt. Das ist elegant gelöst und ermöglicht eine sichere Bedienung.
Das Objektivbrett ist vertikal mittels Spindeltrieb verstellbar; eine horizontale Verstellung ist nicht vorgesehen. Fraglich erscheint mir allerdings, ob die Objektivverstellung an einer Rollfilmkamera ohne Mattscheibenbetrachtung überhaupt sinnvoll zu benutzen ist. Die Kamera verfügt über den üblichen Brillantsucher, dieses späte Exemplar außerdem über einen Ikonometer. Die Rückwand muss zum Filmwechsel abgenommen werden; die Spulenhalter werden nach außen gedrückt. Als einzige der drei Kameras besitzt die Icarette einen Rotfensterverschluss.
Mein subjektiver Eindruck: Die Kamera ist sehr hochwertig verarbeitet und vermittelt einen Eindruck hoher Solidität (wozu auch das satte Gewicht von 850 g beiträgt); alles läuft noch heute präzise und spielfrei.
Die Bedienung ist sicher, die Ausstattung ist klassenüblich, allerdings fehlt die Libelle zum Ausrichten, falls man den Brillantsucher nutzt. Besser als dieses Instrument scheint mir aber der Rahmensucher.
Nun zur Bob V, einer Kamera, die lt. einer Pressemitteilung zur Leipziger Messe 1924 ihre Konkurrenz übertrifft. Es ist mit 162 RM noch im Jahr 1927 die teuerste Kamera; der hohe Preis von 215 RM 1925 resultierte übrigens aus der Bestückung mit dem Tessar; mit Ernemann-Objektiven war sie deutlich günstiger (mit Ernoplast 4,5: 155 RM, mit Ernotar 4,5: 185 RM).
Die Bob besitzt ebenfalls eine Kippstandarte, allerdings muss der Schlitten vollständig eingefahren werden, damit der richtige Drehpunkt erreicht wird. Man muss also etwas aufpassen beim Zusammenfalten. Beim Ausfahren rastet der Schlitten in Unendlichposition ein. Standarte und Objektivbrett sind wie bei einer Plattenkamera konfiguriert: Das Objektivbrett ist ebenfalls via Spindeltrieb vertikal verstellbar; außerdem lässt sich die Standarte horizontal verschieben. Der Brillantsucher besitzt zusätzlich eine Libelle.
Die Rückwand ist angelenkt; das Öffnen gestaltet sich allerdings etwas umständlich, da der entsprechende Griff, der sich unterhalb des Tragegriffes befindet, gedreht und angehoben werden muss. Die Spulenhalter sind klappbar und ermöglichen leichtes Laden. Einen Rotfensterverschluss gibt es nicht.
Gehäuse und Standarte machen ebenfalls einen wertigen Eindruck. Die Kamera ist mit 850 g so schwer wie die Icarette. Allerdings fällt die Technik der Laufbodenverriegelung deutlich ab: Die Verriegelung wird über den Aufsteller gelöst, der also bei dem Öffnen ausgeklappt werden muss. Beim vorliegenden Exemplar funktioniert das noch leidlich, der Aufsteller wackelt aber bedenklich, und das ist bei den meisten Exemplaren so, die ich gesehen habe – sofern er noch vorhanden war. Aus meiner Sicht ist das eine Fehlkonstruktion, die den Eindruck hochwertiger Verarbeitung mindert.
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(Fortsetzung)
Die billigste der drei Kameras ist die Voigtländer.
Schon das geringere Gewicht von 690 g lässt die Kamera im direkten Vergleich etwas weniger solide erscheinen. Zur Technik: Der Schlitten wird bis zum Anschlag herausgezogen, es gibt keinen Rastpunkt. Beim Zusammenschieben muss er vollständig ins Gehäuse geschoben werden, damit der Laufboden hochgeklappt werden kann. (Einen Sicherungsmechanismus gab es bei Voigtländer erst mit der Kippspreize der Bergheil.). Die Standarte ist fest, eine Verschiebung des Objektivs ist nicht vorgesehen. Neben dem Brillantsucher (ohne Libelle) gibt es einen Rahmensucher.
Die Rückwand ist ebenfalls angelenkt und wird über einen Schieber geöffnet; die Spulenhalter lassen sich herausschieben. Einen Rotfensterverschluss gibt nicht.
Was Objektiv und Verschluss betrifft, dürften sich die Kameras nichts nehmen. Die Ica vermittelt den wertigsten Eindruck, die Ernemann scheint mir deutlich überteuert. Vielleicht hat die günstige Voigtländer sogar das beste Preis-Leistungsverhältnis, denn die Verstellung der Objektivstandarte scheint mir bei einer Rollfilmkamera ohne Mattscheibenkontrolle nicht sonderlich sinnvoll.
Re: [1/3] Drei Rollfilmkameras 6,5x11 von Ica, Ernemann, Voigtländer im Vergleich
Hallo Jan,
danke für die interessante Gegenüberstellung. Man kann wohl sagen, dass ICA und Ernemann sich bei diesen Modellen nicht wesentlich unterschieden haben. Die Voigtländer spielte sicherlich noch eine Liga drunter. Sie kann mit Preis und Gewicht punkten, aber die Laufschienen machen nicht so einen soliden Eindruck wie bei den zwei Konkurrenten. Da fällt auch die fehlende Kippstandarte doppelt in Gewicht. Ich denke zudem, dass das Skopar zu dieser Zeit nicht den Nimbus genossen hat, wie das Tessar.
Was die Möglichkeit der Verstellung des Objektivbretts betrifft, bin ich mir gar nicht so sicher, ob ein versierter Fotograf das vielleicht auch ohne Mattscheibenbild gern eingesetzt hat. Ich könnte mir vorstellen, dass man mit entsprechender Erfahrung auch dafür eine gewisse Routine bei entsprechenden Aufnahmesituationen entwickelt hat.
Die Wahl zwischen Ernemann und ICA wird bei den hier vorgestellten Modellen wohl eher durch die besser PR-Arbeit entschieden worden sein, als auf Grund qualitativer Unterschiede. Da ist es schon hilfreich, wenn die zeitgenössische Fachpresse die Überlegenheit der Ernemannprodukte propagiert.
Eine Kamera für den Rollfilm D-6 (116) fehlt bisher noch in meiner Sammlung, da kann dieser Einkaufsberater hier nur hilfreich sein ;-)
Re: [1/3] Drei Rollfilmkameras 6,5x11 von Ica, Ernemann, Voigtländer im Vergleich
Hallo Axel,
axel:Die Voigtländer spielte sicherlich noch eine Liga drunter. Sie kann mit Preis und Gewicht punkten, aber die Laufschienen machen nicht so einen soliden Eindruck wie bei den zwei Konkurrenten.
So ist es. Nach meiner Einschätzung hat Voigtländer – mit zwei Ausnahmen – bei den Rollfilmkameras nicht das technische Niveau erreicht wie die Mitbewerber (und natürlich die Plattenkameras aus eigenem Haus). Die Ausnahme bilden die TLR Superb und die 'Spring-Kameras' (z. B. Inos II und die innovative Prominent 6x9), die wohl zu teuer waren und nur kurze Zeit (1932–35) gebaut wurden. Auch Prochnow spricht hinsichtlich der Verarbeitungsqualität von einem gravierenden Unterschied zwischen diesen Kameras mit ihrem Aluminiumdruckguss-Gehäuse und den "aus Blech hergestellten Kameras" (Bd. 3, 32-802). Die Rollfilmkameras bekamen mit dem 2. Modell (1930) ein leicht verändertes, äußerlich etwas verändertes Gehäuse, an der grundsätzlichen Charakteristik änderte sich nichts.
axel:Ich denke zudem, dass das Skopar zu dieser Zeit nicht den Nimbus genossen hat, wie das Tessar.
Immerhin war Voigtländer für seine guten Objektive bekannt. Was ich zu erwähnen vergessen habe: Die vorgestellte Rollfilm gab es auch mit dem als "Meisterobjektiv" beworbenen Heliar 4,5/11,4 für 135 RM, auch damit war man preislich noch immer im Vorteil.
Re: [1/3] Drei Rollfilmkameras 6,5x11 von Ica, Ernemann, Voigtländer im Vergleich
Hallo Rainer,
nein, diese Kamerareihe hieß auch in den Voigtländer-Druckschriften einfach nur "Rollfilm". Zur weiteren Differenzierung wurde das Format angegeben (es gab sie auch in 5x8 u. 6x9). Die Kamera gehört in die gleiche Modellreihe wie diese hier: https://blende-und-zeit.sirutor-und-comp...&thread=293
Prochnow macht dann noch die Unterscheidung zwischen 1. und 2. Modell (stelle ich gelegentlich mal vor).