heute stelle ich eine sehr kompakte Vorkriegs-Rollfilmkamera von Balda vor, die für Photo Porst unter dem Namen „Lisette“ hergestellt wurde. Es ist eine Balda Baldax und zeigt erneut, wie geschickt Balda seine Modelle, u.a. auch die Boxen, unter verschiedenen Namen verkaufte und so Marktanteile hinzugewann.
Hier der technische Steckbrief:
• Baujahr: ca. 1934 • Hersteller: Balda Baldax (Dresden) für Porst Lisette • Aufnahmeformat: 4,5 x 6 cm (Film 120) • Objektiv: Steinheil Cassar 1:2,9 (f=7,5 cm); es gab sie auch mit Schneider Xenar und Rodenstock Trinar • Blenden: 2,9 bis 16 • Verschluss: Compur-Rapid • Belichtungszeiten: T, B, 1, 1/2, 1/5, 1/10, 1/25, 1/50, 1/100, 1/200, 1/400 Sek. (!) • Fokussierung: manuell (vorderer Objektivring), 1,1 m bis ∞ • Bildzähler: verschließbare Rotfenster auf der Rückseite • Sucher: zweiteiliger optischer Newton-Klappsucher; es gab sie auch mit Fernrohrsucher • Filmtransport: mittels Drehknopf auf der Oberseite links, keine Doppelbelichtungssperre • Sonstiges: Synchronkontakt für Blitz, Drahtauslöser-Anschluss, Vorlaufwerk, 3/8 Zoll Stativgewinde, Handschlaufe, Standfuß am Objektivdeckel, Ledertasche
Die Kamera ist wirklich sehr gut ausgestattet (Synchronkontakt!) und wunderbar handlich (passt in jede Manteltasche). Die Filmführung ist sehr gut (Film- und Aufnahmespule liegen sicher in Metallschalen). Besonders hübsch finde ich den optischen Klappsucher. Trotz ihres Alters (ca. 85 Jahre) funktioniert die Kamera perfekt, sogar das Vorlaufwerk und die langen Zeiten laufen präzise ab. So etwas erstaunt mich immer wieder.
Um die Handlichkeit der Kamera zu demonstrieren, zeige ich sie noch mal neben einer Balda Pontina (6 x 9 cm), die ich demnächst ebenfalls hier vorstelle, weil das Balda-Museum noch etwas Füllung braucht .
Die „Lisette“ ist aus meiner Sicht eine wirklich starke Konkurrenz für die „Ikonta“ und die „Weltax“ gewesen.
Wenn ich diese kleinen leistungsfähigen Mittelformat-Klappkameras der 1930er- bis 50er-Jahre betrachte, frage ich mich immer wieder, ob nicht alle Mittelformat-SLR-Riesen späterer Jahre, z.B. die „Pentacon Six“ oder die „Kiev 60“, ungeachtet ihrer unbestrittenen Flexibilität und ihrer guten Objektive irgendwie Irrwege gewesen sind, wenn es möglich war, mit solch kompakten Apparaten fast ebenso gute Fotos zu machen bei viel geringerem technischen Aufwand. Die "Lisette" jedenfalls bietet alles Nötige, um im Format 4,5 x 6 hochwertige Aufnahmen zu erhalten.
ich schließe die Vorstellung meiner neuen alten Baldax mal diesem Beitrag zur Lisette an. Mein Exemplar ist (abgesehen vom Balda-Logo auf der Abdeckung der Filmsichtfenster) gänzlich unbezeichnet. Es ist also kaum zu klären, unter welchem Namen die Kamera einstmals verkauft wurde. Das gezeigte Exemplar ist mit einem Vidanar von Ludwig und mit einem Compur 00 ausgestattet.
Es besitzt also die preiswerteste Optik, die Balda anbot. Thiele hat das Vidanar von Ludwig in seiner Nummernsammlung nur an Balda Kameras (Baldax, Baldina, Piccochic) im Zeitraum von 1929 bis 1935 verzeichnet. Man kann also vielleicht davon ausgehen, dass das Vidanar vor dem jüngeren Balda-Baltar das ‚Hausmarken-Objektiv“ von Balda war (ähnlich dem Zeh-Zecanar, Welta-Weltar, Beier-Betar oder Certo-Certonar u.a., die Thiele alle beim Hersteller Ludwig verortet).
Die im Netz recherchierbaren Angaben zur Produktionszeit der Baldax differieren stark. Das hier gezeigte Exemplar lässt sich mit Hilfe des Compur-Verschlusses auf 1933/34 datieren. Später gebaute Baldax-Kameras verfügten dann über einen Gehäuseauslöser und einen Fernrohrsucher mit Parallaxenausgleich. Das Vidanar Objektiv lieferte beim Test mit Ilford HP5+ ansprechende Ergebnisse (s.u.).
Eigentlich ein bemerkenswertes Ausstattungsmerkmal – viele Kameras aus der Zeit besaßen so etwas gar nicht, da ist es schon erstaunlich, dass ausgerechnet die preiswerteste Variante damit ausgestattet war. – Balda baute m.W. zwei verschiedene Varianten ein – den außenliegenden Rotfensterverschluss wie hier – konstruktiv wohl einfacher – und den in die Rückwand eingelassenen Panschieber, wie ihn die oben gezeigte Lisette besitzt. Ich bin mir nicht sicher, ob das ein Merkmal für die Datierung ist; ich habe zwei Rigona 3x4, eine davon mit dem außenliegenden, eine mit dem eingelassenen Rotfensterverschluss, und eine Baldi 3x4, ebenfalls mit der aufgesetzten Variante. Ein System kann ich da nicht erkennen...
für die Zeitstellung der Kamera ist die Ausstattung mit Sichtfensterabdeckung durchaus fortschrittlich. Irgendwo hatte ich auch noch eine Variante mit zwei außenliegenden kleinen separaten Abdeckungen für die zwei Fenster gesehen. Ob die Art der Abdeckung zur zeitlichen Einordnung der Kameras herangezogen werden könnte, ist natürlich eine spannende Frage. Aufschluss könnte hier vielleicht eine Datensammlung von Vergleichsmodellen bringen!?
Die typische Balda-Form der Abdeckung bei meinem Exemplar hat mir übrigens auch bei der Identifizierung des Kameramodells auf dem beigefügten historischen Bild geholfen. Die Aufnahme zeigt einen Blick in ein Steinkohlenbergwerk um 1940. In den meisten Fällen ist bei den frühen untertägigen Fotografien nicht bekannt, mit welcher Kameratechnik damals untertage gearbeitet wurde. Da ist es schon ein Glücksfall, dass hier mal eine Kamera selbst im Bergbau abgelichtet wurde. ... und für mich war es der Anlass, mal nach solch einer Baldax Ausschau zu halten …
Wirklich spannend, dieses Foto aus dem Bergwerk! Weißt Du, unter welchen Umständen es entstanden ist? Man könnte ja an eine technische Dokumentation oder Reportage denken – aber warum dann die Kamera im Bild ist (nicht nur Staffage, sondern im Zentrum) wie bei einem "Making of", erschließt sich nicht. Dass die Kumpel ihre Kameras mit an den Arbeitsplatz genommen haben, kann ich mir auch nicht vorstellen. Wenn das Foto im Rahmen einer technischen Dokumentation entstanden oder journalistischen Ursprungs ist, verwundert es aus heutiger Sicht, dass eine solche 'Amateurkamera' beteiligt war. Hast Du auch das Negativ? Falls ja – Platte, Roll- oder Kleinbildfilm? Auf jeden Fall sehr spannend.
der Fotograf der alten Aufnahme war Paul Schulz. Er arbeitete als Markscheider in dieser Grube und beschäftigte sich seit Jugend an nebenbei mit der Fotodokumentation des Bergbaus v.a. in Sachsen.
Warum Paul Schulz diese Aufnahme von der Baldax untertage gemacht hat, ist wohl kaum zu ergründen. Vielleicht um seine untertägige Aufnahmetechnik (kein Blitzlicht sondern Scheinwerferlicht) zu dokumentieren. Das betreffende Foto wurde auf Negativplatte im Standardformat 9x12 aufgenommen (wie auch die meisten seiner anderen Dokumentationsfotos). Welche Kamera er für die 9 x 12 Aufnahmen verwendete, ist allerdings unbekannt. Als vielleicht einzigen Hinweis auf das Kameramodell zeigen seine Negativplatten der Zeit um 1940 an einer der zwei Schmalseiten immer den Schatten von zwei Plattenhaltespangen?! (vgl. beigefügten Bildausschnitt)
tjwspm:..., besonders die Stadt-/Landschaftsaufnahme!
Viele Grüße, Thomas
Hallo Thomas,
die Aufnahme zeigt den Blick vom Windberg auf den Südwesten Freitals. Ich habe dem Bild anbei mal noch zwei Hinweise auf ehemalige Standorte der Kameraindustrie beigefügt. Im Grunde sind im Bild auch die Standorte von Beier, Erkos und Kolbe & Schulze zu sehen, aber da die Dresdner Straße in Freital 1964 komplett neu durchnummeriert wurde, ist eine genaue Zuordnung für mich nicht so leicht.
vielen Dank für die Informationen; wirklich sehr interessant!
axel:Warum Paul Schulz diese Aufnahme von der Baldax untertage gemacht hat, ist wohl kaum zu ergründen. Vielleicht um seine untertägige Aufnahmetechnik (kein Blitzlicht sondern Scheinwerferlicht) zu dokumentieren.
Die Annahme finde ich vor dem Hintergrund solcher Aktivitäten ganz stimmig. Im Prinzip also tatsächlich wie ein "Making of".
axel:Das betreffende Foto wurde auf Negativplatte im Standardformat 9x12 aufgenommen (wie auch die meisten seiner anderen Dokumentationsfotos).
Das hatte ich vermutet. Dann war die Lisette wahrscheinlich ergänzend für schnelle Aufnahmen aus der Hand vorgesehen.
axel: Welche Kamera er für die 9 x 12 Aufnahmen verwendete, ist allerdings unbekannt. Als vielleicht einzigen Hinweis auf das Kameramodell zeigen seine Negativplatten der Zeit um 1940 an einer der zwei Schmalseiten immer den Schatten von zwei Plattenhaltespangen?! (vgl. beigefügten Bildausschnitt)
Das wird sich wohl nicht rekonstruieren lassen; allenfalls kann man auf ein bestimmtes Kassettenfabrikat schließen.