Re: Die vielen unbekannten Platten / Laufbodenkameras
Hallo Rainer,
anbei eine kleine Ergänzung des einleitenden Textes für Griffelspitzer
Rainer:.. hat es neben den großen Herstellern diverse kleine Hersteller dieses Kameratyps gegeben. Es war damals nicht unüblich, keine oder nur wenige Hinweise auf den Hersteller an den Kameras anzubringen. Darüber hinaus wurden auf den Kameras des selben Herstellers unterschiedliche Objektiv- und Verschlußkombinationen montiert. Einige Firmen bauten Objektive und Kameras, andere eben nur Objektive oder Kameras.
Dazu kam:
selbst große Hersteller boten an, statt eigenen auch geeignete kundeneigene Verschlüsse und/oder Objektive in fabrikneue Kameras zu montieren und diese anzupassen
gelegentlich wurden defekte Verschlüsse ausgetauscht, manchmal durch den Hersteller
weit häufiger aber ersetzten Eigner oder Werkstätten mehr oder weniger fachgerecht optische Einheiten durch bessere oder lichtstärkere
Rainer:Nicht wenige dieser Kameras hatten KEINE oder nur leicht übersehbare Markierungen (Logos, Namen) auf dem Gehäuse angebracht. Typische "Versteckorte" waren Einpressungen in der Belederung. Hier gibt es (aus heutiger Sicht) das weitere Problem, dass diese Beschriftungen auf dem abnehmbaren Mattscheiben-Teil angebracht waren, diese aber im Laufe der Jahrzehnte nicht mehr an der eigentlichen Kamera angebracht sind, vielmehr vertauscht wurden. Das bedeutet: Nicht immer passt heute eine Mattscheiben-Einheit zur Kamera.
Daß letztere durch eine andere ersetzt wurde, ist aus mehreren Gründen häufig: verlegt, da nur noch ein Rollfilmrückteil verwendet wurde; verloren; defekt; Ersatz gebrochener Mattscheibe z.T. teurer als Ersatz-Einheit z.B. von Rada; Verkäufer kannte die Zuordnung nicht; Händler hatte dieses - oft nicht passende - Ersatzteil in der Schublade. Wenn Hersteller überhaupt Bezeichnungen anbrachten, dann meist nur einmal. Das konnte irgendwo auf dem Objektiv, auf dem Verschluß oder der Kamera sein, außen, innen, sichtbar, versteckt. Namensplaketten fielen oft ab, oder Beschriftungen und Aufdruck sind verblaßt. Händler wollten Kunden an ihr Haus binden und kauften Kameras ohne oder mit eigener Signatur (heute: OEM-Ware). Hersteller verlangten von Händlern Festpreise und Händler von Herstellern die Kontrolle von deren Einhaltung - Ausweg: unbezeichnete Kameras, teils mit mehreren sichtbar abweichenden Details (verfeinert heute noch gang und gäbe). Z.B. Welta-Kameras tragen ziemlich selten ein Markenzeichen.
Rainer:.. ABER: Bei den Platten / Laufboden - Kameras helfen diese Quellen oft nicht, weil Katalogfotos oft nicht aussagekräftig sind oder nicht ausreichend auf die unterschiedlichen Objektiv / Verschluß-Kombinationen eingegangen wird.
Die Angaben zumindest in klassischen Bestimmungsbüchern sind extrem dürftig, Bilder zwar oft wenig, immerhin jedoch deutlich öfter hilfreich als irreführend. Angaben zu angebotenen Varianten einschließlich des Bildformats meist unvollständig. Nur wenige Hersteller boten vollständige Auflistungen ihrer Kameramodelle - natürlich nur der offiziellen - und vermutlich bei keinem dieser wenigen ist sie wirklich vollständig. Viele gleichbenannte Modelle veränderten sich im Lauf der Jahre sehr stark, von manchen gab's gar zwischendurch eine Variante, die wie aus einem Kuckucksei geschlüpft aussah. Zudem gab's Übergangsmodelle, die in keinem Katalog auch nur gelistet sind. Es gibt mindestens einen Objektivhersteller, der alle seine Modelle noch kennt (Schneider-Kreuznach), aber meines Wissens keinen Kamerahersteller.
Passende Bauteile, also auch eine passende Objektiv-/Verschlußkombination, werden bei der Restauration einer unvollständigen oder falsch bestückten Kamera angestrebt, in seltenen Fällen sind sie auch mit einer Modellbezeichnung verknüpft. Als Bestimmungsmerkmal ist sie ansonsten von sehr untergeordneter Bedeutung. Weit wichtiger wäre eine vollständige Listung aller kaum, schwer, oder üblicherweise nicht veränderten Details.
Es gibt Spezialisten, die Kamera-Torsi originalgetreu so wiederaufbauen können, daß sie von fabrikneuen kaum unterscheidbar sind. Der dafür notwendige Aufwand übersteigt bei Kameras spätestens ab dem 20.Jahrhundert den für den Kauf einer "mint", also vergleichbar erhaltenen, um Größenordnungen. Produktfälschungen dürften deshalb eher auf Kameras wie die Leicas beschränkt sein.
Re: Die vielen unbekannten Platten / Laufbodenkameras
Ja Hallo Laufboden,
Ich habe auf ihre Anregung hin meine "Koilos-Kameras" hervorgekramt. Auf 2 von 3 mit Luftbremsung ist das Kenngott-Zeichen in der gleichen Weise auf den Zylinder-Kappen eingestanzt wie bei ihrem Exemplar. Bei den Lederbremsen-Exemplaren ist das Zeichen vorne rechts und links des Schriftzugs "Koilos". Beim schwarzen Exemplar ist es nicht zu finden.
Haben sie schon mal ein solches Schmuckstück gesehen?
Es gehört einer Bülter+Stammer 9x12, Derogy 6,8/135mm, Luftbremsen-Koilos: Vermulich hat jemand die schwarze Farbe auf dem "Koilos"-Schild und dem Blendenanzeiger entfernt, darunter kam das Messing hervor. Das ist aber so gut gemacht, dass die Schrift in keinster Weise in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Die Messingumrandung des Objektivs scheint Original zu sein.
Dieser Lederbremsen-Koilos gehört einer Wünsche Minimal:
Und dieser gehört eine grossen Unbekannten mit Leisegang Berlin C. Dialyt Doppel-Anastigmat 6,8/135mm:
Dieser Luftbremsen-Koilos gehört einer Dr.Lüttke+Arndt 9x12 Laufbodenkamera:
Und dieser Koilos schmückt eine Dr. Krügener Minimum Delta 9x12:
Dieser schwarze Koilos gehört einer Otto Spitzer Espi Kamera im Format 10x15:
weil "Laufboden" letztens mit dem Namen Bernhard Sommer nichts anfangen konnte:
Sommer gründete seine erste Werkstatt 1911 in Dresden-Uebigau. Später zog er nach Dresden und stellte Schlitzverschlüsse her.
Und zwar zum einen Schlitzverschlüsse die er an andere Kamerahersteller lieferte (zum Beispiel Welta), zum anderen baute er auch eine eigene Schlitzverschlusskamera mit dem Namen "Sportkamera R1". Und zum Dritten baute er aufsetzbare Schlitzverschlüsse, die je nach Falz an jede damalige Plattenkamera adaptierbar waren.
Einen solchen Verschluss mit dem Namen Somento (Sommer+Moment=Somento) kann ich hier zeigen:
iIa: An einer Zeiss Ikon Tropen Adoro 230/7 sieht das dann so aus:
Übrigens läuft der Verschluss noch bei allen Zeiten regelrecht ab!
Re: Die vielen unbekannten Platten / Laufbodenkameras
Hallo Freier-Sascha,
Freier-Sascha:Ich habe auf ihre Anregung hin meine "Koilos-Kameras" hervorgekramt. Auf 2 von 3 mit Luftbremsung ist das Kenngott-Zeichen in der gleichen Weise auf den Zylinder-Kappen eingestanzt wie bei ihrem Exemplar. Bei den Lederbremsen-Exemplaren ist das Zeichen vorne rechts und links des Schriftzugs "Koilos". Beim schwarzen Exemplar ist es nicht zu finden.
Haben sie schon mal ein solches Schmuckstück gesehen? ....
Mit diesem und dem folgenden Beitrag stellen Sie ja eine regelrechte Schmuckstückkollektion vor Mit Jugendstilapplikationen habe ich nur diesen Koilos und eine Hüttig Ideal (nur auf der Standarte).
Im Vergleich dazu habe ich eine ausgesprochen bescheidene Kamerasammlung . Der Platz ist im übrigen ein wenig mehr als voll und damit eigentlich komplett, und verlangt seit einiger Zeit nach deutlicher Zurückhaltung. Meine Frau findet allerdings ganz und gar nicht, daß sie bescheiden ist und meint, daß sie i.w. komplett sei, hätte ich schon gesagt, als sie gerade ein Fünftel so groß gewesen sei Naja, es ist insgesamt eine doch recht abgerundete Sammlung von Kameras und Objektiven, und es sind schon ein paar seltene bis Einzelstücke dabei, die aber nicht unbedingt spektakulär aussehen. Daß sie in keinem Katalog zu finden sind, ist verständlich. Daß es Kameras bekannter Hersteller gibt, von denen Experten meinen, alle Modelle seien bekannt, und man hat doch eine unbekannte, erscheint das als seltsam. Experten irren nie. Z.B. wissen Experten, daß die längste Brennweite für ein Apo-Rodagon N 1:4 105mm war. Meines hat 150mm, und ich sah zwei weitere. Damit ist gezeigt, daß die Menge der Objektive eine Unmenge ist ( Mathematiker-Scherz - vermutlich können nur solche darüber lachen ). Insgesamt zeigt das nur, daß in unserem Sammelgebiet eigentlich immer Unmögliches möglich und nur vollständiges Wissen unmöglich ist
Re: Die vielen unbekannten Platten / Laufbodenkameras
Hallo Freier-Sascha,
ich bin gerade dabei, Deine weiter oben gezeigten Kameras in das Forum-Online-Museum-Verzeichnis aufzunehmen. Geräte die schon erfasst sind, haben über dem jeweiligen Fotos den Vermerk "iIa" (in das Inhaltsverzeichnis aufgenommen).
Grüße von Haus zu Haus Rainer (Forumbetreiber)
Aus Negativ wurde Positiv. Pixel sind nicht alles, aber ohne Pixel ist alles nichts. Fotoapparate sind Zeitmaschinen, sie können die Vergangenheit erhalten. Ein Leben ohne Facebook ist möglich, aber (und) sinnvoll.
anbei meine größten und kleinsten - Kameras 13x18cm (Balda, ICA Volta 355) bzw. 10x14mm (Steky IIIB) und 14x14 (Ginrei Vesta) bzw. Objektive (Krauss Trianar 20mm, Triplet mit Irisblende; Pacific Optical 1:6, 604mm ('in' Sinar-Platte), Tessar-Typ ohne Blende).
Wechselhaftes: 4 Systeme von Wechseloptik-Bajonetten für Plattenkameras - Certo, Voigtländer, Rietschel, ICA+Zeiss:
Das Bergheil-10x15-Bajonett links oben für ein 1:4.5/18cm Xenar ist handgeschnitzt (naja, gefeilt etc.). Bergheil-Bajonette sind in drei Größen vertreten, Zeiss-Bajonette in zwei - es gab mindestens drei ICA/Zeiss-Bajonettgrößen allein für 9x12-Kameras
Bergheil 9x12 und 10x15
Certo Certotrop 6.5x9, Rietschel's Tip 9x12, Certo Certotrop 6.5x9
Re: Die vielen unbekannten Platten / Laufbodenkameras
Hallo miteinander,
Freier-Sascha:Ich habe da mal eine Skizze erstellt über die Nomenklatur verschiedenen Teile einer typischen Laufboden-Plattenkamera:
das ist eine gute Idee, und es ist sicher von Vorteil, wenn wir hier eine einheitliche Nomenklatur verwenden - auch, wenn es nie einen Standard dafür gab. Viele Hersteller hatten dazu ihre eigene Terminologie entwickelt. So gab es z.B. einen Hersteller - dreimal darf man raten, welcher das war - der definitiv nicht das Wort Rahmensucher verwendet hat, sondern dafür den Begriff Ikonometer geprägt und in seinen Beschreibungen verwendet hat.
Damit diese Nomenklatur und danach die Bestimmungsmerkmale von Kameratypen leicht aufgefunden und zugeordnet werden können, rege ich an, daß der Moderator sie zusammenfaßt und als Beiträge unter zentralen Thread(s) präsentiert, in den nur er eintragen kann (Thread "Nomenklatur von Plattenkameras", Thread "Bestimmungsmerkmale von Laufbodenkameras"); mit Zusatzthreads für Anregungen und Korrekturen zu diesen Threads.
Ich hoffe ihr könnt das Dokument öffnen, denn es steckt viel Arbeit dahinter...
Zuerst mal: man kann es öffnen. Zumindest können das Kpdf und Okular - und somit wohl die meisten PDF-Reader. Daß da viel, viel Arbeit drinsteckt, speziell auch für die Details, ist klar. Leider hat man zudem mit zahlreichen Fallstricken zu kämpfen - unvollständige, teilrichtige bis falsche Literatureinträge.
Es erscheint sogar als Riesenaufgabe, die Angaben auch nur partiell zu kontrollieren (Kamerahersteller gab's mehr, solche, die ihren Namen auf Kameras verewigt hatten, noch viel mehr, aber wer davon hat jemals Plattenkameras gebaut?!).
Hier aufs erste nur ein paar bescheidene Ergänzungen:
ein kleiner Fehler, der aber Websuche verhindern kann: es hieß Errtee, nicht Ertee
Louis Lang hat zumindest meine Wünsche Nixe signiert (Louis Lang, Emil Wünsche Nachf. Dresden), also Wünsche Kameras wohl anfangs (bis wann?) weitergebaut
Stukenbrok hat zumindest schon im Katalog von 1912(!) Plattenkameras angeboten, in den 1920ern dieses Angebot ausgeweitet
Rulex-Verschlüsse: zu früheren Verschlüssen gibt es wenig Literatur. Die ersten entstanden in Deutschland in den 1920er-Jahren, es handelte sich um Rädchen-Rulexe. Meine Rulexe sind alle aus Deutschland und somit keine Ring-Rulexe. Sie tragen den Vermerk "D.R.P.", also Deutsches Reichspatent - das Patent sollte sich finden lassen. Es gab sie für 4.5/135er-Kameras (also Größe 1, habe ich zwei, beide Rädchen-, nicht Ring-) und 4.5/105er(Größe 0, habe ich gesehen als Angebot im Web). Die Wikipedia-Einträge erscheinen als etwas zweifelhaft. Ich müßte irgendein aufschlußreicheres Zitat herumlungern haben, finde es momentan nicht. Soviel ich mich erinnere, hat sie Neumann in Deutschland entwickelt und gebaut. Etwas mehr darüber habe ich im Forum schon geschrieben. Nur The name "Rulex" also applies to a German shutter model dating from the 1920s.
Rollei: produzierte nach 1945 noch Plattenadapter für die Rolleiflex
E. Suter: hat auch ein paar Kamera-Modelle von den Contessawerken Stuttgart bezogen (sicher Altura, meine stammt aber wohl von der Sonto ab)
es gibt eine österr. Website, die intensiv nach Kameras fahndet, die tatsächlich in Österreich gebaut wurden. Bis zumindest vor ca. einem Jahr hatte der Sammler und Hobbyforscher keinen Nachweis für eine tatsächlich in Österreich gebaute Kamera gefunden, alle vermeintlich österr. Kameras hatten sich als ausländische Produkte erwiesen. Herlango war nur Händler.